Islam
und Geschichte Israels
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Ursprüngliche
Überschrift: Ein
neues Paradigma für die Entstehung des Islam und seine Konsequenzen
für ein neues Paradigma der Geschichte Israels
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Deutschsprachiger
Entwurf eines englischen Beitrages für das an der Universität
Cambridge im September 1985 veranstaltete Colloqium "Koran and Hadith."
(Siehe: Sprache und Archaisches Denken; Neun Aufsätze zur Geistes-
und Religionsgeschichte, Erlangen: Verlagsbuchhandlung Hannelore Lüling,
1985, ISBN 3-922317-13-8) · Karte: Weihrauch-Handelsdreieck
der Minim/Minäer/Gurhum
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I. - Das neue Paradigma für die Enstehung des Islam | |
Prophetische Rückwendung
zum Höhenkult, aber Vertagung und Verschleierung dieser Rückwendung
im nachprophetischen Islam? 1) Auch diese Tatsache,
daß in der Zeit der politischen und theologisch-dogmatischen Konsolidierung
des jungen Islam die verantwortlichen Muslime gegenüber einer theologisch-dogmatischen
Auseinandersetzung mit den Vertretern des Judentums und insbesondere des
Christentums große Furcht und daher eine Verweigerungshaltung zeigten,
ist ein schon in der Islamwissenschaft der Jahrhundertwende hervorgehobenes
4)
Thema, das aber im Rahmen des damals noch unerschüttert herrschenden
traditionellen Paradigmas des Islam noch keine angemessene sinnvolle Bedeutung
finden konnte. Als das Motiv bestimmter dogmatischer Tendenzen der nachprophetischen
Koranredaktion ist diese Furcht vor der Auseinandersetzung mit der biblischen
Theologie der Juden und Christen heute von großer Bedeutung. Denn
offenbar ist eine wichtige Absicht der Beseitiger und Verschleierer der
prophetischen Rückwendung zum zentralarabischen Heidentum die, mit
einer Appeasement-Politik und -Theologie den ursprünglich radikalen
Gegensatz des Propheten zu Judentum und Christentum in ein "erträgliches
Miteinander Auskommen" abzuschwächen. Das erreichte man mit
der Einführung einer neuen, die ursprüngliche Tendenz auf den
Kopf stellenden Darstellung der Entstehung des Islam: daß der Islam eine
Bewegung sei, die sich vom Heidentum abgewendet habe, um einem dem Judentum
und Christentum ähnlichen "staatstragenden" Monotheismus
anzuhängen. |
II. - Das neue Verständnis von "Höhenkult" | |
Das neue Verständnis von "Höhenkult" im Rahmen des archaischen wissenschaftlichen Weltbildes Es sollte klar sein,
daß wir im gegebenen Rahmen zu diesem Thema keine Beweisführungen
antreten können. Die hier folgenden Ausführungen können
nur als Thesen mit Kommentaren und beiläufigen Hinweisen auf bisherige
Forschungen geschehen. These
1: Kommentar: Wir haben also verschiedene
voneinander unabhängige Gründe dafür, 12)
die Feststellung zu
treffen, daß dieser atl. und ntl. Messias seinem Ursprung nach den hinkenden
höhenkultischen Baalspriestern Isebels, der tyrischen Königstochter
und Frau des nordisraelitischen Königs Ahab (8??-852 v.Chr.), näher
steht als den alttestamentlich "orthodoxen" Gegnern des Baals-
und Höhenkults. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dieser nordisraelitische
Baalskult der Zeit Ahabs wegen der durch seine Verstaatlichung gegebenen
Entfernung vom urtümlichen Blutrecht des Stammes schon erhebliche
Deformationen erlitten haben muss. Es ist also davon auszugehen, daß die
ntl. Messiasgestalt keine Ableitung vom genannten tyrischen Baalskult
ist, sondern einer Tradition angehört, die die urtümliche, an
das Stammesleben gebundene Blutrechtsidee vom "Hirten, der sein Leben
lässt für die Schafe" verhältnismäßig unversehrt
von fortschrittlich-staatsdoktrinären Deformationen bis in die atl.
Zeit erhalten hat. These
4: |
III. - Zur israelitischen Vorgeschichte des "höhenkultischen" Islam | |
Julius Wellhausen
beurteilte in seiner Abhandlung über die altarabische Blutrechtsgesellschaft
"Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit" (Rede zur Feier des Geburtstags
S.M. des Kaisers, Göttingen 1900) dieses Gemeinwesen als auf "sehr
primitiver Stufe" stehend und hob hervor, "daß es nicht besonders
leistungsfähig" sei. 22)
Man wird ihm diese
Fehlurteile angesichts des Erkenntnisstandes der Ethnologie seiner Zeit
nachsehen müssen und auch zu seinen Gunsten in Rechnung stellen,
daß zu seiner Zeit die möglicherweise unaufhaltsamen Konsequenzen
immer größerer großstaatlich-hochkultureller Leistungsfähigkeit
noch nicht zu erkennen waren. Es ist diese Fragwürdigkeit der abendländischen
Leistungsfähigkeit, die es geraten sein lässt, die, was Wachstum
materialistischen Wohlstands der Kultur betrifft, sicher "nicht besonders
leistungsfähige", höhenkultische Blutrechtsgesellschaft
mit neuen und völlig anderen Augen zu sehen, als Wellhausen und seine
Zeitgenossen sie sahen. Wellhausens zeitbedingte Parteinahme für
die staatliche Hochkultur gegen das "Gemeinwesen ohne Obrigkeit"
ist letztlich auch der Grund dafür, daß er auf arabistisch-islamwissenschaftlichen
Gebiet seinerzeitige Fehlurteile über die vorislamische Religion
bestätigt und mit dem Gewicht seines Ansehens über ein Jahrhundert
hin festgeschrieben hat. 23)
Besonders Hugo Winckler hat mit guten Gründen die These vertreten, daß mit der wissentlichen oder unwissentlichen Identifikation des in alten hebräischen Texten begegnenden Musri / Nordwestarabien mit Misrayim / Ägypten erst in nachexilischer Zeit (als der keilschriftliche Name Musri für Nordwestarabien aus der Mode gekommen war) die "Sage vom Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten" entwickelt worden ist. 35) In der heutigen atl. Wissenschaft regen sich neue Kräfte, die die gleiche These von der nachexilischen Entstehung der "Auszug-aus-Ägypten-Erzählung" mit völlig anderen Argumenten vertreten, 36) ohne dieses wichtige Argument Hugo Wincklers, die Gleichung "Musri = Midian/Nordwestarabien", als bedeutsam ins Feld zu führen. Dieses Argument scheint aus dem Blickfeld gänzlich verdrängt worden zu sein. Die letzte Betonung dieses Faktums "Musri = Nordwestarabien" finde ich bei Trude Weiß-Rosmarin, die im Jahre 1932 schreibt: "Ich möchte mich, obwohl die Mehrheit der Forscher heute die Ansicht vertritt, daß Musri durchweg Ägypten bedeutet, mit Winckler und Hommel auf ein arabisches Land Musri berufen, welches im nördlichen Teile der arabischen Halbinsel gelegen haben muss." 37) Doch scheint die Wiederauferstehung auch dieses Arguments gekommen: Dozy hatte in seinem zitierten Buch schon mit guten Gründen die These vertreten, daß die in der islamischen Tradition als zwei aufeinander folgende Bevölkerungswellen geschilderten Gurhum, 38) - sie werden dort in "die ersten und zweiten Gurhum" unterteilt - 39), die zwei Auswanderungswellen der Israeliten darstellen, die sich nach den beiden großen Katastrophen Israels, nämlich nach der Zerstörung des ersten Tempels im 6. Jahrundert v.Chr. und der Zerstörung des zweiten Tempels im 1.-2 Jahrhundert n.Chr., nach Zentralarabien ergießen, weil dort schon die bereits zur Jahrtausendwende v.Chr. emigrierten simeonitisch-ismaelitischen Israeliten saßen, zu denen natürlich seit ihrer Emigration immer verwandtschaftliche, insbesondere aber wichtige Handelsbeziehungen unterhalten worden waren. Weil aus der islamischen Überlieferung hervorgeht, daß die Gurhum israelitische Kulttraditionen pflegten (sie besaßen auch den Psalter) 40) und weil die Gurhum offenbar aus der Gegend von Bahrain stammen, wo die für ganz Arabien als Handelszentrum wichtige Stadt Gerrha lag, und weil in der antiken Historiographie diese Stadt Gerrha als von dorthin gekommenen Flüchtlingen gegründet geschildert wird, kam Dozy schon dazu, die Gleichung "Gurhum = gegrim (d.h. "jüdische Emigranten") aus Gerrha" aufzustellen. 41) Diese Gleichung "Gurhum = die Emigranten von Gerrha" ist nun jüngst (1981) von Toufy Fahd in modifizierter Form erneut vertreten worden, allem Anschein nach, - Fahd nennt Reinhart Dozy überhaupt nicht - ohne jede Kenntnis der diesbezüglichen Argumente Dozys. Der wesentliche Fortschritt Fahds über Dozy hinaus ist, daß er erstmalig die Lage des antiken Gerrha überzeugend lokalisiert und nachweist, daß es nicht, wie fälschlicherweise seit eh und je, zu identifizieren ist mit dem Ort al-Gar'an bei al-Qatif. Fahd legt dem griechischen Namen Gerrha die arabische Ortsnamenform g·r·h zugrunde 42) Dadurch bekommt die schon von Dozy angestellte Spekulation über den Zusammenhang des Volksnamens Gurhum mit dem Stadtnamen Gerrha eine bessere Grundlage: Ich möchte meinen, daß gurhum eine arabische retrograde Singularbildung von einem Wort gerahim ist, das als eine hebräisch-aramäisch-griechisch beeinflußte Pluralbildung für die Bewohner der Stadt Gerrha aufzufassen ist, also zu gerahi, "ein Gerrhäer". T. Fahd geht nicht soweit, daß er diese Genese behauptete, wie er auch überhaupt, in Unkenntnis der gut begründeten Thesen Dozys, die Gleichung "Gerrhäer = jüdische Exulanten" nicht aufstellt. Er begnügt sich mit dem Hinweis, die Gerrhäer seien "arabes arabisés," "emigrés araméens". 43) Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter über Dozy und Fahd hinaus, indem wir noch einen weiteren Aspekt hinzufügen. Dieser weitere Aspekt, der das Bild dieses häretisch-israelitisch überfluteten Zentralarabien noch präziser, historischer, macht, ist das Thema "Leviten und Minäer". Auch hier hat eine neuere Untersuchung von Roland de Vaux ("Lévites, Minéens et Lévites Israélites" in Lex tua veritas, Festschrift für Hubert Junker, Trier 1961, 265-273) die Arbeiten der Jahrhundertwende, darunter die des oben schon zitierten Fritz Hommel, weitergeführt, indem er insbesondere anknüpft an der Arbeit von Hubert Grimme "Der süd-arabische Levitismus und sein Verhältnis zum Levitismus in Israel" (Le muséon 37/1924, 169-199). Wir können hier de Vaux nicht referieren, können hier nur das Problem nennen, das um die Jahrhundertwende diskutiert wurde, und das jetzt offenbar wieder aktuell wird, um dann unsere sehr kurzgefasste, auf R. B. Serjeant gestützte Problemlösung vorzutragen. Bei den Minäern, jenem Volk, das in der wichtigsten Weihrauchhandelsstadt Ma´in am nördlichsten Rande des Jemen sein Zentrum und in Ma'in Musran (d.h. das Ma'in in Musri = Dedan) eine bedeutende Handelskolonie unterhielt, gab es nach epigraphischem Zeugnis "Leviten", auch "Levitinnen" (die merkwürdigerweise viel mit Kapitalien und Immolilien und der Sicherheit / Garantie dieser Werte zu tun hatten. Daran erinnere man sich später! 44) Karte: Das Weihrauch-Handelsdreieck der Minim / Minäer / Gurhum |
©
2001 Dr. Günter Lüling Grafik: Kairodata Mediendesign
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Bernhard Kellermann
hat in seinem Buch "Kritische Beiträge zur Entstehungsgeschichte
des Christentums" (Berlin 1906) ein Kapitel "Das Minäer-Problem".
Er meint damit nicht die südarabischen und midianitisch-dedanitischen
Minäer, sondern die Minim, die israelitischen Ketzer in allen Weltgegenden,
in Sonderheit aber des Ostens. Denn, der Kirchenhistoriker Hieronymus
schreibt: "Usque hodie per totas Orientis synagogas inter Judaeos
haeresis est, quae dicitur Minaearum." 49)
Diesen
Minim/Minäern ist im Achtzehngebet der Synagoge in der 12. Bitte
die Verwünschung gewidmet. "Und die Noserim und die Minim mögen
gar plötzlich zugrunde gehen, und sie mögen ausgelöscht
werden aus dem Buch der Lebendigen und mit den Gerechten nicht aufgeschrieben
werden" (vgl. Ps. 69, 29). So sind wir auf dieser Grundlage der Tatsachenbeschreibung schon berechtigt, die Minim (jüdische Ketzer) mit den Minäern (den Weihrauchkaufleuten Süd- und Zentralarabiens) und diese mit den Gurhum der arabischen Tradition gleichzusetzen. (Die spätere Ketzerei Christentum können wir hier kurzerhand als besondere Variante der minäischen Ketzerei unberücksichtigt lassen.) Nun wollen wir unsere "Minim=Minäer"-Gleichung stützen mit der näheren Untersuchung der Tatsache, daß bei den Weihrauch-Minäern in Ma'in und Ma'in Musran das Levitentum eine Rolle spielte: Zuerst ist es wichtig festzuhalten, daß diese Minäer seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. eine hervorragende wenn nicht gar beherrschende Rolle im Weihrauchhandel kreuz und quer durch Zentralarabien gespielt haben. Für diese minäische Rolle ist nun aber die Geschichte des Weibrauchhandels in den vorausgegangenen Jahrhunderten von Bedeutung. Und siehe da, dieser Weihrauchhandel hat in dieser Vorzeit offenbar in der Hand der um 1000 v.Chr. von Israel ketzerisch abgefallenen und emigrierten Simeoniten / Ismaeliten gelegen. Denn sie haben ja die Amaleqiter beerbt, nachdem sie diese besiegt hatten, und diese Amaleqiter sind, wie schon Hubert Grimme 1904 an ihrem Namen entdeckt hat 57), nichts anderes als "die Weihrauchleute", denn das in den Keilschriften übliche Wort Melukhkha für die Bezeichnung des Weihrauchlandes ist von dem gleichen Wortstamm, von dem auch das Wort "Amaleqiter" gebildet ist. Der Weihrauch selbst wird, wie Eduard Glaser registrieren konnte, in Südarabien mit dem Wort lamlokh bezeichnet 58) (Ich füge meine These hinzu, daß dem Wort im klassischen Arabisch m·l·q "angenehm sein", entstanden aus ma la`iq, entspricht. Das bedeutet, daß eine semasiologische Parallele zu Aithiop, aus semit. , "gut, angenehm", vorliegt.) Wenn also die Simeoniten / Ismaeliten nach ihrem Sieg über die Amaleqiter "die Weihrauchleute" wurden, indem sie das Metier der Besiegten übernahmen, und wenn, was naheliegt, die Emigranten der insbesondere levitischen israelitischen Emigrationswelle (= "die ersten Gurhum") nach Kultzentralitation und Zerstörung des ersten Tempels sich als Lebenshilfe für ihre neue Existenz in der Fremde an ihre einstigen Stammesgenossen, an die Simeoniten, anlehnten, dann folgt daraus, daß diese ersten Gurhum auch zu "Weihrauchleuten" wurden. 59) Und dies betätigt unsere These, daß Minäer und Gurhum im wesentlichen identisch sind - die einen nach ihrem religiösen Status als Ketzer, die anderen nach ihrer Flüchtlingsstadt Gerah bezeichnet. [Die Gleicbsetzung von Minim und Ma'inim ist offenbar eine Kontamination, worauf wir hier nicht eingehen können! 60) Die Minäer saßen als "die Weihrauchleute" nicht nur in Ma`in, sondern nahezu überall, jedenfalls außer in Dedan auch in Hadramaut und Kataban. Es dürfte sicher sein, daß auch die Gerrhäer / Gurhum als Ketzer, also als Minim / Minäer, bezeichnet werden konnten und worden sind. Es handelt sich hier um reine Synonyme!] Der Weihrauchhandel quer durch die Wüsten Arabiens hatte zwei große Probleme zu bewältigen: Das eine Problem war das des Schutzes gegen räuberische Beduinenstämme. Das andere Problem war, eine handelspolische Monopolstellung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, um der einzelnen hochkulturellen Supermacht der verschiedenen Abnehmer (Ägypten, Rom, Griechenland, Mesopotamien) möglichst profitliche Preise und möglichst geringe Steuererhebung abhandeln zu können. Die außerordentlich hohen Steuern in den Machtzentren scheinen bewirkt zu haben, daß der Weihrauchhandel möglichst Routen durch machtleere Räume suchte, z.B. Mekka - Djidda - Elephantine - Ammons-Oase - Karthago, oder durch die Sinaihalbinsel zum liefen al-Arisch, oder über den Persischen Golf durch Ostiran nach Baktrien. 61) Die Monopolstellung war nur durch Konzentration des Weihrauchhandels im Dreieck Dedan - Ma'in - Gerrha in einer Hand oder in einem Komitee gewährleistet. 62) Dieses Komitee, das war vermutlich der Verwandtschaftsältestenrat der Minim/Minäer/Gurhum. Zum ersteren und
wohl wichtigsten Problem schreibt Freya Stark: "Indeed the enormous
length of the road and the passing from one people to another, must have
entailed a great deal of very delicate diplomacy and many distant relationships
... The whole of the trade was an immense machine, delicately adjusted"
63)
Wie aber sah die
"immense delicately adjusted machine" aus, die die Sicherheit
des Karawanenverkehrs kreuz und quer durch Arabien garantierte? Diese
Konstruktion ist nur aus dem Blutrechtswesen zu verstehen, das zur Zeit
sowohl der Simeoniten / Ismaeliten als der Minim / Minäer / Gurhum
die religiöse, politische und soziale Struktur Zentralasiens durch
und durch bestimmte. Es sind daher die oben schon zitierte Arbeiten über
das Blutrechtswesen des Jemen von Serjeant und Puin, die uns zeigen, wie
mit einem System blutrechtlichen Asyl-, Haram- (= Tabu-) und Bündniswesens,
das zwischen zahlreichen Höhenheiligtümern (nämlich Stammesheroengräbern)
als Relaisstationen über weite Distanzen konstruiert ist, die Sicherheit
des Reisens in "finsterer Heidenzeit" garantiert werden konnte.
Serjeant nimmt ausdrücklich Bezug auf die für den Karawanenhandel
gewährte völlige Sicherheit (hurmah wafirah): "nay, if
there be a small boy of them (den höhenkultisch-blutrechtlich Versicherten)
in the caravan or one of their slaves, nobody will molest them."
64)
Diese Umstände erklären nicht nur die merkwürdige Dichotomie der Bevölkerung im minäischen Südarabien in Stimmesfürst und Stammesmitglieder einerseits und Kabir (="Vorstand einer Handelskolonie" 65) und seine Gemeinde andererseits (was der Zweiteilung in "autochthone Südaraber" und "immigrierte minim/minäische Beisassen" entspricht). Diese Umstände werfen auch ein Licht zurück auf die vorstaatlichen, ja vormosaischen Verhältnisse im Stämmebund Altisraels, über die die atl. Wissenschaft nach der zurecht erfolgten Aufgabe der Noth'schen Amphiktyonie-These völlig ratlos geworden zu sein scheint. Diese Amphiktyonie-These war eine Retrospektive oder besser: Retrojektion der religiösen und kultischen Verhältnisse der monarchistisch-theokratischen Verfassung des Judentums in die Frühzeit Israels. Altisrael war aber höhenkultisch-blutrechtlich organisiert, und wo eine unglaublich stabile Kontinuität der höhenkultisch-blutrechtlichen Praktiken der Bündniskonstruktion, wie sie R. B. Serjeant und G. R. Puin aufgezeigt haben, offenbar von den Minäern (= Gurhum) bis in den Jemen der Gegenwart reicht, dürfen wir auch mit einer entsprechenden Kontinuität von der Zeit des Sieges der Simeoniten über die Amaleqiter (ca. 1000 v.Chr.) bis zu den Min-im/Minäern rechnen: In den mit Fahne (liwa) und Trommel ausgerüsteten Herolden der Stammesfürsten, wie sie R. B. Serjeant beschreibt, können wir die Leviten, die Diener des blutrechtlichen Höhenkultes und der blutrechtlichen Bündniskonstruktion in Altisrael wieder erkennen. 66) Da diese altisraelitischen Leviten den Heiligtümern geweiht (= rituell geschenkt) waren, bedeutete diese Weihung gemäß Blutrechtsglauben, daß sie mit dieser Weihung vom Heiligen/Heroen und damit vom Stamm adoptiert waren. Und dieser Umstand erklärt nun auch, warum die altisraelitischen Leviten, nachdem sie durch "Mose aus Musri / Midian" überzeugt worden waren, an allen ihren Höhenheiligtümern Jahwe als intertribalen Gott einzuführen, zu einem 13. Stamm Israels werden mussten: Solange sie einem der Stammesheroen geweiht gewesen waren, waren sie Adoptierte dieser verschiedenen eponymen Stämme geworden. Wurden sie aber an allen Heiligtümern in allen Stämmen allein dem völlig neuartigen Gott Jahwe geweiht, wurden sie, und nur sie allein und nicht alle die regulären Stammesmitglieder, Adoptierte Jahwes und also ein neuer Stamm, ein spezieller Stamm von Jahwe-Dienern. 67) Als der höhenkultische Blutrechtsglaube vom Judentum verdrängt und mit der Kultzentralisation endgültig abgeschafft wurde, haben diese Spezialisten der blutrechtlichen Gottesfrieden- und Bündniskonstruktionen, diese Leviten, offenbar nicht klein beigegeben und haben sich nicht als unfreundlich geduldete Fremdlinge und allerletztes Hilfspersonal in den einzigen zentralen Tempelkult in Jerusalem eingefügt, sondern sie sind dorthin ausgewandert (oder dort geblieben), wo ihr Metier noch verstanden und erwünscht war, im blutrechtlichen Zentralarabien. Wenn uns somit alle diese bisher diskutierten Benennungen, - Simeoniten, Ismaeliten, Minim, Minäer, Gurhum, Gerrhäer, minäische Leviten, Amaleqiter zu Synonymen geworden sind, dann müssen wir hier als den fehlenden Punkt auf das I noch die beiden Benennungen Hagarener und Sarazenen hinzufügen, die schon um 200 v.Chr. im hellenistischen Westen als Bezeichnung für zentralarabische Stammesgruppen gebräuchlich waren. 68) Daß die Hagarener nach der biblischen Hagar, Ismaels Mutter, benannt sind, steht außer Frage. Aber der Name Sarazenen ist bis heute ein ziemliches Rätsel geblieben. Doch bringt Hieronymus wohl zurecht die Sarazenen unter dem Eponym Ismaels mit den Hagarenern unter einen Hut: "Ismaelitarum gentes, qui postea Agareni et ad postremum Saraceni dicti." Er weiß auch, daß sich die Sarazenen nach Bars, der Konkurrentin Hagars als Frau Abrahams, benannten ("sibi assumpsere nomen Sarae"). 69) Er meint aber fälschlich, daß sie das zu Unrecht taten, weil er fälschlich glaubt, sie hätten damit ihre Abstammung von Sara angeben wollen. Jedoch Hieronymus kennt nur nicht mehr die Bedeutung der griechischen Silbe ken in dieser griechischen Bezeichnung der zentralarabischen Araber. Diese Silbe ken bedeutet, wie ich anderorts gezeigt habe, "bekämpfen." 70) Sarakenoi bedeutet also "die Bekämpfer der Sara." Tatsächlich sind also die Bezeichnungen Hagarener und Sarazenen Synonyme und die Seiten einer Medaille: Die für Hagar sind, sind natürlich gegen Sara. Hiermit beschließen wir unsere flüchtige Skizze der kontinuierlichen, weitgehend am alten Weltbild festhaltenden Traditionslinie, die zu der "fortschrittlichen", "materialistisch leistungsfähigen" und "erfolgreichen" Traditionslinie seit dem Beginn der biblischen Geschichte parallel lief, und die wir heute wohl erst deshalb wiedererkennen, weil die "erfolgreiche" Linie so fragwürdig geworden ist. |
Fußnoten | |
1) Die
hier unter I. gemachten Ausführungen sind eine Darstellung des wesentlichsten
Ergebnisses meiner koranwissenschaftlichen und historisch-kritischen Abhandlungen
"Über den Ur-Qur'an" (Erlangen 1974) und "Die
Wiederentdeckung des Propheten Muhammad" (Erlangen 1981). Anmerkungen
werden nur zu neu angesprochenen Problemen gegeben. Zurück
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