Malen in Magdaz
Am frühen Morgen hilft mir einer meiner Reisegenossen, Staffelei und Farbkasten an meinen neuen Standort zu tragen, während ich Leinwand und Palette mitnehme. An einem steilen Hang hoch oberhalb des Dorfes, geschützt durch einen überhängenden Felsen, der mir viele Stunden Schatten bieten wird, baue ich meinen Dreifuß auf und lege Steinplatten übereinander, die als Tisch, Ablage und Sitzplatz dienen.
Allein in der vollkommenen Harmonie, die ein Tagesanbruch im Hochgebirge mit sich bringt, beginne ich dann meine Arbeit, beflügelt von der unfaßbar schönen Sicht auf das Flußtal mit seinen grasgrünen Felderterrassen und dem roten Felsgestein als Hintergrund, in den die rötlichen Würfel, die in lebendiger Abwechslung und offensichtlicher Ordnung das Dorf bilden, harmonisch eingebettet sind. Darüber wölbt sich tiefblauer Himmel, und auf den Gipfeln kleben watteweiße Wolken.
Der schwere Schatten des Felsens hüllt mich ein und verbirgt mich vor dem Blick der Leute, die im Ort und auf den Feldern ihrer Arbeit nachgehen. Wie klar unterscheidbar die vielfältigen Geräusche von unten heraufdringen: das geschäftige Summen des Dorfes, die hellen Stimmen der Frauen, das Gackern des Hühnervolkes und der auf- und abschwellende Singsang der Schüler in der Timsgida.
Ein Gefühl reinen Friedens durchdringt mich. Sicher schlägt er sich in meinem Werk nieder. Selten habe ich so "einfach" gemalt, ohne Prätentionen. Die Bilder werden zu Dokumenten.
Nach und nach finden sich Kinder an meinem luftigen Arbeitsplatz ein. So wie der Lehrer sie entsprechend ihren Leistungen entläßt, steigen sie einer nach dem anderen den Berg herauf und setzen sich schweigend neben mir nieder. Der schmale Vorsprung unter dem Felsen füllt sich mit Zuschauern, die aufmerksam meine Tätigkeit verfolgen.
Nun beginnt einer, flache Steinplatten zu sammeln, und bald folgen andere seinem Beispiel. Sie flüstern nur untereinander, um mich nicht zu stören. Mit weichen Steinen zeichnen sie auf die Platten, mit Rötel und gelbem Lehm, mit dunkelgrauem Schiefer und grünlichem Sandstein. Ein Junge klettert flink den Steilhang hinab und kehrt mit einem Arm voll Schwertlilienblüten zurück, die einen blauen Farbton abgeben.
Wenn ich eine Pause beim Malen einlege, zeigen sie mir stumm ihre Bilder: Häuser und Kornspeicher, Kühe und Hühner, Jäger und Vögel, Bäume und Blumen. Die Farbgebung ist ganz natürlich, die Aufteilung und Größe der dargestellten Gegenstände entspricht ihrer Wichtigkeit. Ich finde die Bilder erstaunlich frisch, unbelastet und phantasievoll. Über meine Kommentare freuen sich die Kinder.
Auch zu meinem Bild wagen sie nun einige Bemerkungen:
"Jetzt malt er das Haus von Onkel Hadsch." oder:
"Die Wolke über dem Gipfel war heute früh wirklich dort!"
Immer häufiger muß ich mich bewegen und den Rücken strecken, denn die Enge auf dem Felsvorsprung läßt keine ausgleichenden Gänge zu. Und dann kommt auch noch die Sonne herüber und glänzt auf der Leinwand. Schluß für heute.
Während ich zusammenpacke, entsteht eine Ordnung unter den Knaben: die zuerst Gekommenen sind ja auch die intelligentesten, sie dürfen mir am nächsten sein. Es gibt keine Rangelei, sondern das ganze geht sogar fast wortlos vor sich. Der erste nimmt die Staffelei, die ich zusammengelegt habe. Der nächste greift die Palette und hält sie waagerecht vor sich, damit die Farbreste nicht verschmiert werden. Den schweren Farbkasten nimmt der dritte, und der vierte den Sack mit dem Fotoapparat. Dann kommen die kleinen Gläschen mit Terpentin, das ich nicht ausschütte, denn hier gibt es keins zu kaufen. Ein anderer trägt die Pinsel. Dann steige ich selbst bergab, das frische Bild hoch zwischen beiden Händen haltend. So ziehen wir im Gänsemarsch durchs Dorf. Wie eine Prozession sieht es aus: mit Rutenbündel, (die Staffelei), Teller (die Palette) und Kelch (das Terpentingefäß), und in der Mitte wie ein Priester mit hocherhobener Ikone ich selbst. Hinter mir singende und winkende Kinder.
Die Frauen treten aus den Häusern und halten den Zug an. Sie begutachten mein Bild, obgleich ich beteuere, daß es noch nicht fertig ist. Wenn die Arbeit abgeschlossen ist, werde ich es zeigen, verspreche ich. Aber sie loben und lachen doch, zeigen auf die einzelnen Häuser, bewundern die weiße Wolke.
So ziehen wir die enge Gasse hinauf bis zu meinem Atelier im Zentrum des Dorfes. An der Tür nehme ich die Malutensilien entgegen und bringe sie an ihre Plätze. Als ich dann etwas später mit Schokolade wieder vor die Tür trete, ist keiner mehr da. Sie haben ihren Stolz.
Wer Marokko kennt, weiß, daß das keine Selbstverständlichkeit ist.
Allmählich werden einige Dorfansichten fertig. Mal sieht man das kubische Häusergewirr aus der Nähe, mal das Dorf aus der Ferne, eingebettet in die schroffe Bergwelt, thronend über dem fruchtbaren Tal. Meine Freunde sind erstaunt.
"Du malst ganz anders als in Marrakesch oder Berlin!"
"Und diese weiße Wolke, die wie eine Wattebausch auf dem Gipfel klebt, das ist geradezu naiv!"
Laß sie lästern und bekritteln, denke ich. Die Wolke hing an jenem Morgen wirklich so auf der Bergkuppe. Mir ist nicht wichtig, ob das "mein Stil" ist oder ins 20 Jahrhundert paßt. Ich will zeigen, was ich vor mir sehe: Magdas, den Hohen Atlas.
Später, auf der Ausstellung in Spanien, auf der ich diese Bilder erstmals der Presse und dem Publikum vorstelle, muß ich das starke rot der Berge und leuchtende grün der Täler verteidigen gegen die Spötter, muß Fotos und Dias zeigen, um zu beweisen, daß es dort "wirklich so aussieht". Die weiße Wolke hätte ich am Ende doch noch fast übermalt, so wurde sie bespöttelt. Aber ich ließ sie, aus Trotz. Und schon wenige Tage nach Eröffnung der Ausstellung kaufte ein Kunstsammler aus Wien das Bild, vermutlich wegen der weißen Wolke...
Mich beeindruckt dieses geordnete Chaos, diese unwirklich erscheinende Landschaft, die in ihrer Grausamkeit und Schärfe jede andere Wirklichkeit verblassen läßt. Da ist Mystik und Zukunftsglaube unangebracht, wo es ums nackte Überleben geht. Da stehen Rot und Grün in schroffem Gegensatz, das unwirtliche Felsengebirge und der Fleiß des Menschen. Sollte ich diesen Kampf verniedlichen? Eine weiße Wolke ist so selten, ist ein Glücksbringer, für die Menschen hier. Könnte ich sie übersehen?
Mit meinen Bildern - so glaube ich - schaffe ich ein treues Abbild der Wirklichkeit, wie ich sie hier vor mir sehe, ohne Zusatz oder Schmeichelei.
Selten wurde mir so scharf auf die Finger geschaut beim Malen. Nicht eine Mauer kann ich verrücken, nicht ein Fenster versetzen. Jedes Haus auf meinem Bild wird überwacht.
"Wie gut du die Farbe der Berge eingefangen hast," sagt mir ein Mann, der ins Atelier getreten ist und das erste fertige Bild betrachtet. Was ist sein Urteil wert?
Allmählich spüre ich, daß alle im Dorf an meiner Arbeit teilnehmen, daß alle sie beurteilen und untereinander besprechen. Desto weniger kann ich mir Abweichungen erlauben, leichte künstlerische Freiheiten, wie man bei uns sagt.
Genau müssen meine Darstellungen sein, jede Einzelheit muß erfaßt werden, alles, was diesen Leuten wichtig ist. Und erkennbar muß es sein, ihnen zugänglich. Die meisten haben nie in ihrem Leben Bilder gesehen. Durch Fragen kann ich mich davon überzeugen, daß sie keine Schwierigkeiten haben, meine Bilder zu verstehen. Sie lesen darin ein Urteil ihres Daseins, haben volles Vertrauen zu meiner Arbeit und sind glücklich mit dieser Erfassung ihrer Welt.
Titelbild von "Cuentos populares de los Bereberes"
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