Der Zeitsprung von 297 Jahren ist widerlegt
Ulrich Voigts Einwand gegen Illigs 297 Phantomjahre ist sinnvoll · Uwe Topper erkennt seinen Fehler.
Uwe Topper
Berlin · 2006
Dieser Beitrag folgt einem früheren, der Voigts Überlegungen bestritt und Illig verteidigte: Der Zeitsprung von 279 Jahren widerlegt?

Nachdem ich meine persönliche Ansicht über eventuelle "Phantomzeiten" in mehreren Büchern dargestellt habe, wissen die meisten Leser, daß ich eine von Illig sehr verschiedene Auffassung zur Chronologiekritik habe. So mag es manchem müßig erscheinen, wenn ich heute auf Illigs 297 Jahre noch einmal zurückzukomme.

Ich möchte dies, weil ich gegen Ulrich Voigt in "Zeitensprünge" 3/1996, S. 398 (und wiederholt in "Erfundene Geschichte" 1999, S. 235, noch einmal mit Nachdruck in meiner Rezension seines Vortrages 2005, die ich auf Chrono-Logik veröffentlichte,) die Ansicht vertreten habe, daß der von Illig erdachte künstliche Einschub von 297 Jahren (zwischen 31. 8. 614 und 1. 9. 911) kalendarisch keine Probleme bereite, weil die Wochentagszählung bruchlos durchlaufe.

"Tatsächlich" ist der 31. 8. 614 ein Sonnabend und der "darauffolgende" 1. 9. 911 ein Sonntag. Ich begründete meine Ansicht damit, daß der Wochentag (hier der 1. Sept.) nicht im 28-er Rhythmus aufeinanderfolgen muß, sondern im "platonischen" (oder jakobitischen) Rhythmus, d.h. in der Folge 11-6-5-6 auftrete, weshalb der zu beachtende Rest kleiner als 28 sein könne (297 ist 10 mal 28 Rest 11+6).

Dabei "wäre erst zu ermitteln," schrieb ich 1996, ob im fraglichen Zeitraum die Reihenfolge 11-6 oder 6-11 verlaufen sei, weil auch dieser Rhythmus stets vollständig ablaufen muß; er kann nicht an beliebiger Stelle neu einsetzen bzw. ein oder mehrere Intervalle wiederholen. Leider hatte ich die vorgeschlagene Ermittlung damals nicht durchgeführt (die mathematische Arbeit wäre für mich beträchtlich gewesen), sonst hätte ich sofort erkannt, daß hier die Unmöglichkeit der Kalenderfortführung liegt. Auch niemand sonst ist diesem Gedanken gefolgt, obgleich dies per Computer ein leichtes gewesen wäre.

Die letzten Intervalle vor 614 liefen 11-6-5-6 und die darauf folgenden ersten Intervalle nach 911 setzten mit 5-6-11-6 ein, wie ich jetzt feststelle.

Dieser "kleine Makel" bezüglich der bewußten 297 Jahre mag für komputistische Manipulationen oder beim Aufstellen einer künstlichen Chronologie vernachlässigenswert gewesen sein; für einen "tatsächlichen" Vorgang, wie ihn Illig fordert, nämlich für den Einschub der Phantomjahre durch Kaiser und Papst kaum neunzig Jahre später, ist das eine Unmöglichkeit, da der Kalender, d.h. die Wochentagsfortzählung, damit gestört würde, was den Zeitgenossen aufgefallen wäre und damit die Aktion zum Scheitern gebracht hätte.

Meine Forderung war ja gewesen, daß die Wochentage nicht gestört werden dürfen, weil andere Völker in Nordafrika und Asien, die nicht unter der Autorität von Kaiser und Papst standen, ebenfalls diesen Rhythmus einhielten. (Ich hatte 1999 die Berber als völlig unabhängige Kulturgruppe angeführt, andere wären genauso nennenswert gewesen, bis hin nach Tibet).

Ulrich Voigt hatte seine Beweisführung von Anfang an (in Zeitensprünge 2/1996, S. 242) viel einfacher und verständlicher ausgedrückt; sie lautete klipp und klar, daß sowohl Wochentage als auch Schaltjahre, also die Faktoren 7 und 4 (=28), eine Grundbedingung für die Einhaltung des julianischen Kalenders sind. Da 297 nicht durch 28 restlos teilbar ist, kann ein Einschub dieser Jahresmenge nicht stattgefunden haben, ohne die Fortsetzung des Kalenders zu unterbrechen. (11 mal 28 = 308 wäre der nächstmögliche Einschub gewesen).
In diesem Sinne muß ich meine erwähnte Argumentation gegen Voigt zurücknehmen und meinen grundsätzlichen Denkfehler eingestehen.

Voigts Kernsatz 2000 lautete nämlich wiederum (er ist zur Hervorhebung kursiv gedruckt):
"Nur dann, wenn der Zeiteinschub x ein Vielfaches von 28 (Jahren) beträgt, entsteht in der Relation 'Datum-Wochentag' keine Störung."

Und zwei Sätze weiter im selben Sinne:
"Bei allen anderen Einschüben wird es in regelmäßigen Abständen Diskrepanzen geben."

Wenn also Illigs Einschub nicht durch 28 restlos teilbar ist, kann die Durchzählung der Woche nicht mehr stimmen. Und 297 ist durch 28 nicht restlos teilbar.
Damit hat er Illig widerlegt.

Voigt wiederholt (S. 300) noch einmal ganz ausdrücklich: "Die 7-tägige Woche und die 4-jährige Olympiade führen zu 28 = 7 x 4. Eine kürzere Periodizität ist nicht vorhanden."

Diesen Punkt hatte ich angegriffen und muß nun erkennen, daß Voigt Recht hat.

Wegen der angeblich fortlaufenden Durchführung der Osterfeste hat Voigt zusätzlich verlangt, daß auch der metonische Zyklus (also der Faktor 19) einbezogen werde, sodaß als Mindesteinschub 532 Jahre anfallen. Da aber die Daten für Ostern im fraglichen Zeitraum unbekannt sind, zumindest nicht unabhängig von kirchlicher Geschichtsschreibung belegt sind (also anders als Wochentage und Schaltjahre), ist dieses Argument nur für diejenigen von Wert, die innerhalb theologischer Geschichtsschreibung denken.

Punkt 3 der damaligen Forderungen (1996) von Voigt kann ich allerdings (noch) nicht folgen: "x (der Zeiteinschub) muß Vielfaches von 532 sein".
Für den, der es noch nicht weiß: Voigt hat seine Gedanken ausführlich in einem hervorragenden und humorvollen Buch niedergelegt, dessen Lektüre ich allen Chronologiekritikern empfehle: "Das Jahr im Kopf" (Likanas, Hamburg 2003). Ohne die Lektüre dieses kenntnisreichen Werkes wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, meine Überlegungen zu den Wochentagen noch einmal zu überprüfen. Eine Besprechung des Buches folgt bald.  (hier: Rezension Voigt und das Jahr im Kopf.

Grundsätzlich muß ich wiederholen (siehe 2001, S. 151), daß ich die Illigschen 297 Jahre nur als Komputistenarbeit der Kirche ansehe und der Einfügung keinen faktischen Wert beimesse. Es handelt sich um ein rein literarisches Phänomen, das an vielen verschiedenen Stellen auftaucht. Weder vor noch nach dem von Illig anvisierten Zeitraum gibt es für Jahrhunderte irgendeine wirklichkeitsnahe Geschichtsschreibung, soweit sie Daten betrifft. Darum kann ich nur anfügen: Es reicht eben nicht, Herr Illig, nur das Mittelalter zu erfinden; man muß schon die gesamte Geschichte vor der Neuzeit als erfunden erkennen.

Nachtrag:

Um Mißverständnisse durch Schnelleser, Kurzschließer und mit der Materie Unvertraute zu vermeiden, wiederhole ich ausdrücklich, daß nur Illigs Behauptung eines tatsächlichen Einschubs von 297 Jahren zwischen 31.8.614 und 1.9.911 AD mathematisch durch Ulrich Voigt widerlegt ist. Dies habe ich als richtig erkannt. Illigs Entdeckung der Fundlosigkeit im Mittelalter und der Brüchigkeit der AD-Jahreszählung ist damit keineswegs bestritten.

Literatur

Illig, Heribert (1996): "Das erfundene Mittelalter" (Econ, Düsseldorf)
Topper, Uwe (1996): Leserbriefantwort auf Voigt, in VFG 3/1996, S. 398
(1999): Erfundene Geschichte (München)
(2001): "Fälschungen der Geschichte" (Herbig, München)
(2005): Chrono-Logik (www.chronologiekritik.net)
Voigt, Ulrich (2000): "Zeitensprünge und Kalenderrechnung" (in ZS 2/2000, S. 296-309)
(2003): Das Jahr im Kopf (Likanas, Hamburg)
(2005): "Über die christliche Jahreszählung" mit Kommentaren von K.-H. Lewin, Andreas Birken und Heribert Illig (in ZS 2/2005, S. 420-481)


Der Zeitsprung von 297 Jahren widerlegt?
Kommentar zu einem Beitrag von Ulrich Voigt in der Zeitschrift "Zeitensprünge" 2/2005
Uwe Topper
Berlin · 2005
Der Autor hat die Grundthese dieses Beitrags im August 2006 widerrufen. In seinem obigen Artikel Der Zeitsprung von 297 Jahren ist widerlegt! gibt er Voigt recht.

Die Diskussion um Heribert Illigs These von den 297 Phantomjahren zwischen 614 und 911 will nicht abreißen und fördert immer spitzfindigere Untersuchungen, was der Chronologiekritik zugute kommt. Anläßlich der kürzlich auf der Klausurtagung in Zürich neu entfachten Streitreden und Schriften rolle ich die grundsätzlichen Argumente, die Ulrich Voigt vertritt, noch einmal auf.
Voraufgegangen war ein Leserbriefwechsel zwischen Voigt und mir im Jahrgang 1996 der "Zeitensprünge", auf den ich abschließend in meinem Buch "Erfundene Geschichte" (1999, S. 234 f) schrieb:

"Da die Wochentagszählung ... offensichtlich fehlerfrei bis heute eingehalten wurde, müßte die Lücke, wenn der übersprungene Zeitraum etwa zwischen 614 und 911 liegt, 297 Jahre sein, denn die Gesamtzahl der Tage von diesen 297 Jahren im 7. bis 9. Jahrhundert (365 mal 297 plus 74 Schalttage ergibt 108 479 Tage) beträgt glatt 15 497 Wochen. Illig hat also den ausgefallenen Zeitraum korrekt berechnet, denn wie er sagt: Es fallen nicht die Jahre zwischen 614 und 911 aus, sondern: die ersten acht Monate des Jahres 614 werden an die letzten vier Monate des Jahres 911 angesetzt, womit ein Abstand von exakt 297 Jahren entsteht (1996, S. 19).
Durch die Einbeziehung des Wochenrhythmus in die Illigsche These ist eine weitere Stütze gewonnen: In dem in Frage kommenden Zeitraum können es nur 297 Jahre gewesen sein, wenn der Fehler nicht größer als fünf Jahre in beiden Richtungen war.
An dieser Stelle setzte nun ein anderer Leser (Ulrich Voigt aus Hamburg) mit einem mathematischen Einwand an: Wegen der Wochentage und der Mondphasen müsse die Lücke allermindestens (28 x 19 =) 532 Jahre oder ein vielfaches davon betragen. Der Osterfestzyklus von 532 Jahren ist (wie schon erwähnt) das Produkt aus Wochenrhythmus und metonischem Mondzyklus. Dieser Einwand muß so korrekt angemutet haben, daß Illig ihn veröffentlichte (in ZS 2/1996, S. 242). Mit einer völlig irrelevanten Osterfest-Berechnung hat sich Werner Bergmann (Univ. Bochum, siehe EuS 8/1997) diesem Argument angeschlossen und gesagt: "Entweder sind also 532 Jahre ausgefallen oder keins." (S. 485).
Die Behauptung, das Osterfest falle nur alle 532 Jahre auf denselben Tag, ist jedoch falsch, weil Ostern nur in einem Zeitraum von 35 Tagen verschiebbar ist (zwischen 22. März und 25. April). Die Wiederholung gleicher Ostertage ist darum recht häufig; außerdem ist 28 als Faktor zu groß, da 5, 6 oder 11 Jahre als Abstand im Julianischen Kalender ausreichen (siehe meine Antwort in ZS 3/1996, S. 398. Anzufügen wäre, daß dies selbstverständlich nur für den julianischen Jahresbeginn am 1. März gilt, sonst müßte man die ersten beiden Monate ausnehmen.) So hat dieser Versuch, die Zeitkürzungsthese von Illig zu stürzen, keine Chance, weil Wochenzählung und Osterdatum zu kleine Zeiteinheiten sind." (Ende des Zitates).
Nachzutragen für Mathematiker wäre, daß die julianische Wochentagsregelung auch den julianischen Jahresbeginn (am 1. März) voraussetzt.

Herr Voigt meldete sich in ZS 2/2000 noch einmal zum Thema unter Bezug auf meinen obigen Text, wobei er seine "damalige Position zu den Osterdaten revidieren" möchte (S. 296). In meiner damaligen Rezension faßte ich seine Argumente wie folgt zusammen:

"Nachdem ich rechnerisch erwiesen hatte, daß in dem von Heribert Illig als übersprungen genannten Zeitraum 614=911 die Wochentage weiterhin stimmten, blieb noch festzustellen, daß die Schaltregel nicht eingehalten worden sein könnte, was sich an den Ostertafeln zeigen müßte (die wirklichen Schalttage vor 614 kennen wir ja nicht). Das hätte Voigt ohne jene seitenlangen Tabellen ganz einfach herausfinden können: 297 ist nicht durch 4 teilbar, also müßte man bei einem Sprung von 614 auf 911 einmal schon nach 3 Jahren den Schalttag eingeschoben haben, wenn die Osterferstberechnung auch rückwärts stimmen sollte. Da eine einmalige Schaltung nach drei Jahren sehr unwahrscheinlich ist, blieben nur noch Vielfache von 28 Jahren für einen geplanten Sprung übrig: 252 oder 280 oder 308 Jahre usw. Zwar hatte Voigt nicht vor, Illigs These zu stürzen, wie er behauptet, aber faktisch hat er es getan. Voigt schreibt nämlich:
"Verifizieren = feststellen, dass Zeiteinschub modulo 28 den Rest 17 hat.
Falsifizieren = feststellen, dass der Zeiteinschub modulo 28 einen anderen Rest hat."
Der zweite Teil ist falsch, da andere Reste ebenfalls die Wochentagsfortführung ermöglichen, z.B. Rest 5, 6, 11, 22 und 23 (siehe Topper 3/96, S. 398). Hier hat Voigt Lernbedarf.
Auch der erste Teil ist falsch, denn verifizieren läßt sich die Fortführung des julianischen Kalenders nur mit modulo 28 Rest 0 (Null), wie Voigt ja ausdrücklich sagt. Voigts Kernsatz lautet nämlich wiederum (er ist dort zur Hervorhebung kursiv gedruckt): "Nur dann, wenn der Zeiteinschub x ein Vielfaches von 28 (Jahren) beträgt, entsteht in der Relation 'Datum-Wochentag' keine Störung."
Und zwei Sätze weiter im selben Sinne: "Bei allen anderen Einschüben wird es in regelmäßigen Abständen Diskrepanzen geben." Wenn also Illigs Einschub nicht durch 28 teilbar ist, kann die Durchzählung der Woche nicht mehr stimmen. Und 297 ist durch 28 nicht teilbar.
Damit hätte er Illig widerlegt.
Voigt wiederholt (S. 300) noch einmal ganz ausdrücklich: "Die 7-tägige Woche und die 4-jährige Olympiade führen zu 28 = 7 x 4. Eine kürzere Periodizität ist nicht vorhanden."
Als Fazit sagt er (S. 305): "Die obige Tabelle zum 1. Januar/1. März ist die Tabelle Nr. 17 aus 28 möglichen Tabellen, denn 297 hat zur 19 den Rest 17."
Logisch? Nein, denn was hat die 19 (dem Oster-Zyklus entnommen, auf den er weiter unten eingeht) hier zu suchen? Und wenn man "Rest 17" hineinsteckt und nachher wieder herausbekommt, dann beißt sich der Hund in den Schwanz. Hätte er gewußt, daß in diesem Zeitraum - es wäre zu wiederholen, was Topper 1996 schrieb: nur in diesem Zeitraum - der Rhythmus gerade mit 6 und 11 Jahren Abstand lief, dann hätte er erklären können, daß auch nach 17 Jahren (6+11 in diesem Fall) die Wochentage wieder stimmen können.
Aber das stärkste Argument gegen Illigs These bringt Voigt noch: "Wenn man genügend datierte Wochentage hätte, könnte man sie mit diesen Tabellen vergleichen und so modulo 28 die Länge des Zeiteinschubs bestimmen."
Wer die ganze Diskussion nicht mitverfolgt hat, sondern einfach seinen Rechner ansetzt ohne nachzudenken, der wird immer solche Beweise finden. Es gibt "genügend" datierte Wochentage, es gibt sie in großen Haufen auf Stein und Pergament, wie Illig anerkennt, denn er hält ja z.B. Gregor d.Gr. und dessen päpstliche Erlässe für geschichtlich.
Da die von Voigt für seinen Artikel kopierten Zahlentabellen schon sehr, sehr lange existieren, (schon Jahrhunderte vor Grotefend, den er als Quelle angibt) waren die Herren Kleriker nicht faul und haben uns viele datierte Wochentage beschert, von denen die meisten sogar richtig rückerrechnet sind.
Was Voigt nun hinsichtlich Ostern "berichtigt", bewegt sich im selben kurzsichtigen Kreis: Wenn wir wüßten, wann im Mittelalter ein Osterfest tatsächlich begangen wurde, wäre es zu schön. Ein katholisches Ostern vor 1250 ist aber eine Illusion. Darum sind Voigts mathematische Rückprojektionen reine Spiegelfechterei.
Warum Illig diese naive "Widerlegung" seiner seit 1991 so brilliant verfochtenen These in seiner eigenen Zeitschrift publiziert, noch dazu ohne den sonst üblichen Kommentar des Redakteurs, bleibt ein Rätsel. Vorsichtiger Rückzug?
Ps.: Wer mit einem einfachen Programm die entsprechenden Umrechnungen der Kalendertage ausführen möchte, ohne die altmodischen Tafeln von Grotefend u.a. benützen zu müssen, der kann gegen eine Gebühr von DM 20.- dieses Programm (Q-basic) erwerben; es ist auch zur Umrechnung des islamischen Hedjira-Kalenders in julianischen und gregorianischen Kalender brauchbar. Es wurde von Alexander Topper 1996 geschrieben und ständig verbessert, so daß es die in manchen Programmen auftauchenden Fehler nicht enthält."

Soweit schrieb ich im Jahr 2000. Heute, 2005, sind wir einige Schritte weiter und haben das ganze Ausmaß der Geschichtsfälschung und der rückwärts berechneten Daten im Blick. Darum fällt die Antwort auf Voigts Artikel in ZS 2/2005 noch etwas genauer aus. Vorausschicken möchte ich, daß ich grundsätzlich die Argumente von Voigt einer Diskussion für wert halte. Axel Brätz hatte in seinem Vortrag im Salon für Forschung und Geschichte (BSF) in Berlin am 14. Febr. 2005 darauf aufmerksam gemacht, daß Voigt in seinem Buch (2003) eindeutig demonstriert, daß die Ostertafel des Dionysius auf der Kenntnis der gregorianischen Kalenderreform beruht. Diese Erkenntnis löst alle Fragen in der von mir vorgeschlagenen Weise.
Nun also zur schriftlichen Überarbeitung des Vortrags, den Ulrich Voigt, der bekannte Kopfrechner, auf dem Klausurtreffen in Zürich im Mai 2005 hielt:

"Über die christliche Jahreszählung" von Ulrich Voigt, mit Kommentaren von K.-H. Lewin, Andreas Birken und Heribert Illig (S. 420-481).
Wegen seiner Überlänge (von stattlichen 35 Seiten) darf man annehmen, daß dem Herausgeber Illig der Beitrag von Voigt und dessen Verlängerung durch Lewin ganz wichtig ist, da er von ihm ja auch anschließend gleich selbst beantwortet wird. Voigt möchte, nachdem "unser Verständnis der frühchristlichen Kalender noch einmal deutlich erweitert, vertieft und verändert" worden war (S. 420), die Diskussion "neu eröffnen" (S. 421). Mit zahlreichen Berechnungen verschiedenster Art, die um die Festlegung des Osterdatums kreisen, hat er "die christliche Jahreszählung" rein mathematisch als durchgehend seit frühester Zeit - schon vor dem Konzil von Nizäa - nachgewiesen und mit Überlegungen zur Ostertafel Illigs Konzept, ja seine ganze These, zunichte gemacht. Das müßte nun manche Gegner der Chronologiekürzung freuen und von ihnen auch ausgewertet werden. Ich fürchte nur, daß niemand diese verzwickte Beweisführung nachprüfen wird und entweder mit Verweis auf die mathematischen und literarischen Argumente Voigts das Thema als abgeschlossen ansieht oder kopffschüttelnd - wie Christoph Marx im internet - derartigen Unsinn in die Versenkung befördert.
Darum will ich mit einer eingehenden Betrachtung von Voigts Text die grundsätzlichen Ergebnisse dieser Überlegung noch einmal hervorheben. Dabei müssen kleinere Rechenfehler und Ungereimtheiten übergangen werden - etwa solche wie der zur Indiktion (S. 437): "Die Praxis, auf der die Datierung nach Indiktionen beruht, ist ebenfalls so breit, dass die Vorstellung schwer fällt, man habe sich irgendwann einmal in der fortlaufenden Zählung geirrt." In den "Dokumenten" wird aber immer nur die jeweilige Zahl des fünfzehn Jahre laufenden Indiktionszirkels angeführt, nie die Gesamtzahl der jeweiligen Indiktionszyklen. Das reicht zum eindeutig datieren nicht aus! Und daß man sich da leicht irren kann, beweist Voigt gleich selbst, indem er behauptet, das Jahr 525 hätte die Indiktionsziffer 9. Wer nachrechnet, und das geht an den Fingern, erhält 3. Oder:
(S. 452): "Daß das julianische Kalenderjahr um etwa 6 Minuten zu lang ist, war bereits Hipparch von Nicaea im zweiten vorchristlichen Jahrhundert bekannt", was keineswegs erwiesen ist, außerdem kann das von Julius Caesar verordnete Jahr nicht ein Jahrhundert früher schon so geheißen haben, und drittens ist es um rund 11 Minuten zu lang, wie man im Kopf ausrechnen kann.

Aber nun zu den Denkfehlern der Reihe nach im Text:
Laut Voigt ist Beda Venerabilis "gewiß der mittelalterlichen Nach-Phantomzeit zuzuordnen" (S. 421). Ist das gewiß so? Beda soll offiziell von 674-735 gelebt haben, also knapp zwei Jahrhunderte nach Dionysius, und genau in der "Phantomzeit". Mit Nach-Phantomzeit meint Voigt die "Gegenwart" (das zweite Jahrtausend nach Chr., wie er S. 423 klärt.) "Zwischen Beda und Dionysius liegen Jahrhunderte, Jahrhunderte, in denen die dionysische Jahreszählung kaum je benützt worden ist." (S. 421) Kaum je? Überhaupt je? Und wenn sie nicht benützt wurde, wie kann dann Beda an die Zählweise von Dionysius anschließen? Gab es eine verläßliche Parallelzählung, die die dionysische mit Bedas eigener Zeit verband? Dann wären alle weiteren Überlegungen überflüssig, die Paralleljahreszählung würde jede Phantomzeitthese zu Fall bringen. Und warum sollte Beda nach mindestens fünf Jahrhunderten, was Voigt als gewiß ansieht, für sich selbst einen offiziellen Abstand von nur zwei Jahrhunderten postulieren? Hat er damals den Sprung über drei Jahrhunderte noch nicht gekannt?
"Beda konnte sich also nicht auf eine intakte Tradition berufen und hätte deshalb eigentlich nachweisen müssen, dass ihm mit seiner neu-dionysischen Jahreszählung kein Fehler unterlaufen ist. Er hat das nicht getan und auch kein Bedürfnis in dieser Richtung angedeutet." (ebenda) Hiermit sieht Voigt, worin das Problem besteht; sein Nachweis dreht sich also darum, daß vor Dionysius und schon vor dem nizänischen Konzil die Jahre genauso gezählt wurden wie um 1580 und daß kein Bruch stattgefunden hat. Er führt diesen Beweis zunächst mit grundlegenden Sätzen wie (S.423): "Der Julianische Kalender ist im Kern der Kalender Julius Caesars, wie er seit den Tagen des Augustus in ununterbrochenem Gebrauch war." Was zu beweisen wäre. (S. 436 äußert er sich im selben Sinne).
"In der gesamten Nach-Phantomzeit (also nach 1000 n.Chr.) war man der Auffassung, dass auf dem Konzil von Nicaea 325 n.Chr. ... der 21. März als Basis der Osterberechnung festgelegt worden sei." (S. 426). Wer sollte das behauptet haben? Nur Voigt allein? Dann steht es auf schwachen Füßen. Was in Nizäa beschlossen wurde, weiß man nicht, und Gregors Kalendermacher stritten heftig um diesen Punkt, der mangels Beweisen erst mit der Bulle autoritär zum Fundament wurde.

"Überaus wahrscheinlich ist, dass die Gleichsetzung 21. März = Äquinoktialdatum ursprünglich einmal eine gewisse astronomische Genauigkeit gehabt haben muß." (S. 429) Warum auch nicht? Aber wann das war und wer dieses Datum "festschrieb", das ist nach herkömmlicher Ansicht unbekannt.
Mit der Indiktionszahl geht Voigt ebenso um (S. 437): "Wenn sie auch schwerlich bis auf Konstantin d.Gr. zurückverfolgt werden kann, so ist sie doch eine unbestrittene Tatsache der Vor-Phantomzeit." Unbestrittene Tatsache? Warum soll Konstantin d.Gr. sie dann nicht 312 eingeführt haben, wie alle Welt behauptet (wenn man aufgeklärterweise das fiktive Anfangsdatum -3 v. Chr. übergeht)? Und wenn erst Justinian die Indiktion eingeführt hätte, wie Voigt glaubt, warum dann die Verschiebung um drei Jahre gegenüber der AD-Jahreszählung? Dennoch steht für Voigt fest: "Die Praxis, auf der die Datierung nach Indiktionen beruht, ist ebenfalls so breit, dass die Vorstellung schwer fällt, man habe sich irgendwann einmal in der fortlaufenden Zählung geirrt." Wo es doch ganze Jahrhunderte ohne fiktiven Nachweis dieser Zählung gibt!
Das alles führt Voigt an, um einen weiteren Multiplikator, diesmal die 15, ins Spiel zu bringen und so das Gesamtjahrespaket auf (532 mal 15 =) 7980 Jahre aufzuschaukeln, das "bereits in der Spätantike bekannt" gewesen sei (S. 438) und auch von Scaliger benutzt wurde. Da schwinden die Chancen für Illigs 297 Jahre ins Jenseits.

Der Leser erkennt schon aus diesen wenigen Zitaten, daß hier ein völlig unkritischer Mathematiker an Literaturstücke herangeht, die für ihn nur Zahlen sind, die man nachprüfen kann, etwa wie ein Kassierer das eingenommene Geld prüft, ohne zu ahnen, woher es kommt. Was dem Kassierer gleichgültig sein kann, ist gerade die Arbeit des Geschichtsanalytikers: zu prüfen, auf welche Quellen er baut und wann diese verfaßt wurden. Wenn die Angaben über Ostertafeln von der gregorianischen Kalenderkommission erstellt wurden, dann dreht sich alles in einem sehr engen Kreis, der nur bei flüchtiger Betrachtung in sich schlüssig wirken kann.
Das müßte für einen Mitarbeiter im Illigschen Zirkel selbstverständlich sein. Mit der Erkenntnis, daß die Quellen Voigts nichts taugen, fallen seine langwierigen Argumente und aufwendigen Ostertafeln in die Versenkung. Wozu der Abdruck dieser langen Tafeln, von denen jeweils die erste und letzte Zeile genügt hätten, um auf das Schema hinzuweisen? Wer unbedingt das nächste Osterdatum wissen möchte, um am Ostermarsch auf die Hauptstadt teilzunehmen, der guckt in seinen Taschenkalender.

Voigt hat eigentlich nur eine handfeste Quelle, auf die er sich stützen kann (S. 441 und f. ausdrücklich zweimal), nämlich den als Titelabbildung benützten Kalenderstein von Ravenna. Dieser enthält eine Ostertafel für 95 Jahre, die für die Jahre 1596 bis 1690 brauchbar ist. Als ich 1998 dieses Marmorprachtstück im bischöflichen Museum sah, stufte ich es sogleich als Renaissance-Arbeit ein, ohne daß mir der Begriff Fälschung dabei nötig schien, so offensichtlich waren das junge Aussehen und der Inhalt der lateinischen Inschrift. Diese enthält typische Begriffe, die erkennbar machen, daß der Hersteller des Steines die Gregorianische Reform im Auge hatte.

Man fragt sich erstaunt, warum der Stein gerade für 95 Jahre gültig sein soll, nicht für 74 (viermal 19) oder 532? Vermutlich ist dies der Grund: Fünfmal 19 (= 95) ist das größtmögliche Jahrespaket, das mit der Jahrhundertregelung (Gregors Reform) noch übereinstimmt. Bei einem Beginn 1501 läuft dieser Kalender 1595 aus und beim zweiten Durchlauf dann bis 1691. Die Weiterführung erfolgte durch Heinrich Noris. Zwar wissen wir nicht mit Sicherheit, ob der Stein vor dem letzten Datum schon existierte, können es aber unbesorgt annehmen, weil es für unsere Beweisführung unerheblich ist. Ich tippte auf das Jahr 1595 als Herstellungsdatum, was Illig ("dreimal 532 = 1596", S. 476) ebenfalls annimmt. Meine Überlegung lief (wie schon 1999, S. 125) darauf hinaus, daß einmal, am Anfang, das Jahr Null einkalkuliert worden war (531 als Ende des Zyklus, 532 als Neubeginn) und deswegen die ganze Zählung um ein Jahr hinterherhinkte.

Voigt findet noch "einen weiteren Hinweis auf den kundigen Umgang mit der Zahl 0 bei Dionysius Exiguus" heraus, (S. 429, Anm. 7) was sich auch auf dem Kalenderstein von Ravenna widerspiegelt. Wäre er damit nicht auch für ihn als neuzeitlich erkennbar? Die Null wurde nämlich erst durch die Araber in Europa bekannt.
Voigt sagt darum (S. 443): "Wenn der Stein keine nach-phantomzeitliche Fälschung eines hinterhältigen Humanisten darstellt, führt er zu D= 0. Denn als Vielfaches von 532 kommt D nicht in Frage." Alles klar?
Wie schon gesagt, ist das Herzstück der Voigtschen Beweisführung das Osterproblem. Dionysius hat nämlich als Jahr Null ein Idealjahr angenommen (1. Nisan = Neujahr), in dem der Ostervollmond 14 Tage nach dem ersten Sichtbarwerden des Frühlingsmondes, also auf den 15. Nisan, fällt. Bei einem Äquinoktialdatum 21. März wäre das dann der 5. April. Der Zyklus für dieses Idealjahr, bei dem auch noch die Wochentage übereinstimmen, beträgt rechnerisch 532 Jahre. Darum setzt man die Dionysische Ostertafel ins Jahr 532 n.Chr. Das würde heißen, daß das Nulljahr dieses Zyklus (Monatsbeginn = Äquinoktie) dem Geburtsjahr (oder dem Jahr der unbefleckten Empfängnis) Jesu entspräche und das christliche Ostern mithin von Jesu Auferstehung an um mindestens drei Jahrzehnte zurückverlegt wurde. Warum? Der Ansatz der Epoche beim Todesjahr Jesu - das übrigens unbekannt und weiterhin umstritten ist - hätte noch einigermaßen Sinn gemacht, das völlig unbekannte Geburtsjahr dagegen nicht.

Dem Rechner Voigt entgingen trotz aller Akribie einige Feinheiten in Sachen Vollmondfestlegung, die noch heute jedem Kalendermacher Kopfzerbrechen bereiten. Vor wenigen Tagen erlebten wir eine ringförmige Sonnenfinsternis am frühen Vormittag. Der Beginn des neuen islamischen Monats (in diesem Falle Ramadan, daher heißumstritten) müßte dann am Abend desselben Tages liegen, weil dann ja der Mond "offensichtlich" aus der Sonne herausgetreten sein muß. Aber auch am nächsten Abend beginnt nach alter Gewohnheit der Monat noch nicht, sondern frühestens am dritten Tag nach dem Neumond, nämlich dann, wenn man bei günstigsten Bedingungen die neue Sichel sehen kann. Ganz generell nimmt man den dritten Tag nach dem Neumond als Monatsersten an. Vollmond liegt dann gewöhnlich am 14. des Mondmonats, also nicht am 15. Nisan. Voigt bespricht diese Verschiebung mehrere Seiten lang und zeigt sie als Ergebnis eines drei Jahrhunderte vor Dionysius wirkenden Bischofs in Anatolien an, eines gewissen Anatolius von Laudicea (Laodikeia, vermutlich nicht die heute noch so heißende Hafenstadt sondern die Stadt am Lykos in Phrygien, ein alter Bischofssitz), der eine 95-jährige Ostertafel schrieb, wie man "aus den spärlichen Resten seiner Schriften, die in lateinischer Übersetzung erhalten sind, unschwer erkennen kann." *)

Da dieser Bischof "nichts mehr fürchten (mußte) als den Spott der Juden", erscheint es Voigt "zwingend, dass Anatolius von Laudicea bei der Festlegung des Äquinoktialdatums auf astronomische Genauigkeit geachtet hat. Sein gesamter Anspruch wäre bei einem falsch gewählten Datum fragwürdig geworden." (S. 445). Und wann war die Äquinoktie im 3. Jh. n. Chr.? Das genaue Datum, soviel wissen wir seit mehr als einem Jahrzehnt, könnte unseren Streit entscheiden. "Aus seinen Schriften ergibt sich kein klarer Schluss, denn dort wird für die Äquinox ein Zeitraum von 4 Tagen gesetzt: 19., 20., 21., 22. märz." Uff, damit sind wir wieder auf den Anfang zurückgeworfen. Man könnte höchstens folgern, daß der Bereich von vier Tagen die frühchristlichen Jahrhunderte bis zur Lebenszeit des Bischofs abdeckt. Heute kann der Frühlingsbeginn im Verlauf eines Lebens höchstens drei Tage überstreichen, wegen der Schaltregel.

Voigt erklärt das schwimmende Frühlingsdatum des Anatolius mit dessen Mondbeobachtung (die astronomisch mit der Äquinox nichts zu tun hat!). "Möglich wäre aber auch, dass Anatolius eine Rückversetzung des Äquinoktialdatums für die Zukunft anvisiert hat" (Anm. 16). Donnerwetter! Vorwärtsschauende schwimmende Rückversetzung gegenüber astronomischer Genauigkeit - hier blickt niemand mehr durch.

Danach kommen so kryptische Sätze wie folgender vor:
"In Ägypten entschied man sich um 304 AD unter dem Patriarchen Petrus von Alexandria dazu, das anatolische System zugunsten des dionysischen aufzugeben." (S. 447). Also dionysisches System schon über zweihundert Jahre vor seinem Urheber?
Auf S. 448 entdeckt Voigt nun eine höchst befremdliche Tatsache, die ihn eigentlich hätte stutzig machen sollen: "Zuerst wurde die Mondtafel neu aufgebaut und dann wurde eine dazu ‚passende' Jahreszählung gesetzt. Zufällige Fügung: Das erste Regierungsjahr des Diokletian entsprach den komputistischen Erfordernissen." (In der Anm. 18 wird dazu ein Franzose M. Chaine 1925 zitiert, dessen Untersuchung vermutlich noch weitere Erkenntnisse bringen würde; man möchte bitte nach seinem Werk Ausschau halten.) Voigt sagt daselbst: "Die Jahreszählung muss den Anfangsbedingungen genügen, nicht umgekehrt." Unter Anfangsbedingungen versteht er die Ostertafeln. Das sagt doch alles! möchte der Absolutkritiker ausrufen. Illig (in seinem Kommentar weiter unten) sieht das leider nicht so deutlich. Dabei ist es doch äußerst bedenklich, wenn nicht verräterisch, daß kritische Daten wie 304 AD (viermal 76) oder 532 AD (siebenmal 76) als Ostertafelbasen dem Anfangsjahr der diokletianischen Zeitrechnung 285 AD (dreimal 95) zugesellt werden. Zwar konnte man gegen 1580 nicht mehr die seit etwa 1500 in Gebrauch gekommene Zählweise ändern, aber die Aufstellung langer Listen mit Päpsten und Kirchenvätern konnte erst jetzt sinnvoll durchgeführt werden, nachdem das Kalenderproblem gelöst war. Petavius als abschließender Schöpfer dieses Systems hat das deutlich gemacht, wie Voigt sehr wortkräftig hervorhebt: "Obwohl kaum ein Historiker die Behauptung des Dionysius Petavius wahrhaben will. ... Aber gegen Tatsachen läßt sich natürlich kein Blumentopf gewinnen." (Anm. 17)
Anders gesagt: Voigt hat die Geranie gewonnen, ohne selbst damit glücklich zu werden. Er möchte vielmehr ‚demnächst' eine umfangreichere Arbeit zur christlichen Chronologie vorlegen (S. 453). Die Phantomzeitthese verstößt er als den Ostertafeln widersprechend - hierin kann ich ihm gut folgen. Phantomjahreszahlen müßten alle Inkarnationsdaten vor 1500 gewesen sein.

Direkt angehängt an Voigts Artikel folgt der von Karl-Heinz Lewin; ist das vielleicht das alter ego von Ulrich Voigt? fragt der geneigte Leser, der ja an alter egos längst gewöhnt ist. Sogar die Anmerkungen laufen einfach ab Nr. 22 weiter, als befände man sich noch beim selben Autor. Auch einige Anmerkungen zu Voigt, etwa Nr. 14, stammen vermutlich von Lewin. Er zitiert unter Literatur Voigts "Thesenpapier", das vielleicht die Teilnehmer der Klausurtagung in Zürich kannten.

Lewin setzt den Leichtsinn von Voigt gleich mit einem Fehler fort:
"Im Julianischen Kalender fällt das gleiche Datum (Tag und Monat) alle 28 Jahre auf den gleichen Wochentag." Falsch, wie ich zum x-ten Male entgegenhalten muß, denn es geht nicht darum, wann es mathematisch spätestens darauf fällt, und ob das nach 56 Jahren oder nach 112 Jahren immer noch so ist, sondern wann frühestens derselbe Wochentag auf dasselbe Datum wieder fällt, denn der kleinste - nicht der größte - gemeinsame Nenner wird hier gesucht. Und das ist offenbar schon nach fünf Jahren der Fall, dann nach sechs Jahren, dann nach elf und dann wieder nach sechs Jahren. Das lernt man schon in der Grundschule, wenn sie katholisch ist, weil in diesem Rhythmus ein kleines Heiliges Jahr gefeiert wird. Legt man den 25. Juli (Jakob) als Sonntag zugrunde, dann begann der augenblickliche Zyklus im Jahre 1999 und endet 2027.
Für den einfachen Leser unverständlich ist die Aussage "daher fällt der Ostersonntag alle 532 Jahre regelmäßig auf das gleiche (Julianische) Datum." Er tut das in der Tat sehr viel öfter, wie Lewin in Anm. 24 zugibt, nämlich "bis zu 20 mal", und fährt fort: "Dass jedoch vier auf einander folgende Ostersonntage (im Julianischen Kalender) auf das jeweils selbe Datum fallen, geschieht nur alle 532 Jahre." Das bedarf der Erklärung: Niemand erwartet, daß Ostern zweimal hintereinander auf dasselbe Datum fällt. Es ist jedoch nur die mathematische Periodizität gemeint, also daß die theoretische Wiederholung von vier Ostertagen innerhalb von 532 Jahren nur einmal vorkommen kann, oder einfacher gesagt: daß in dem Jahrespaket 532 der Faktor vier (Schaltregel) nur einmal enthalten ist. Was man hineinsteckt muß man auch herausbekommen, kein Wunder.
Als drittes schwerwiegendes Argument ("Selbstverständliche Voraussetzungen", S. 458) führt Lewin an, daß mit der Einführung der neuzeitlichen Jahreszählung (gemeint ist die Einfügung von 297 Jahren durch Otto III) kein neuer Osterstreit entbrannte. Das war gar nicht nötig, denn der sogenannte Osterstreit war ein Versuch der Christen, sich von der Passah-Regelung der Juden zu lösen, und nachdem das einmal gelungen war (angeblich schon in Nizäa), gab es keinen neuen Streit mehr. (Es sei denn, man hielte sich an den echten Osterstreit, nämlich den der gregorianischen Kalenderkommission, der die Epakten betraf; dieser war sehr heftig.)

Wichtig ist die Aussage in Anm. 29 (S. 461): "Der astronomische Frühlingsvollmond ... kommt ... im Laufe der Jahrhunderte immer später" - das stimmt für den gregorianischen Kalender! Im julianischen, der ja (im Verhältnis zum tropischen Jahr) falsch ging, kam er eher. Gregor änderte das. Wenn Dionysius und der Kalenderstein diese Änderung berücksichtigen, dann sind sie zur Zeit Gregors geschaffen. Da der Stein für den 1. Zyklus den Frühlingsvollmond am 5.4. anzeigt, ist er für 532 rückberechnet (nicht für 1064, wie auch vermutet wurde).

Erst der dritte Artikel, von Andreas Birken, löst das Problem mit einem Hammerschlag, ganz simpel: auch der vermeintlich so alte Osterzyklus ist eine Erfindung von Konstantin VII, dem purpurgeborenen. (Und der ist eine Erfindung von Illig).
"Man sieht," sagt er, "es ist einfacher, den großen Osterzyklus in die Illigsche These einzupassen, als eine Lösung für die Frühgeschichte des Islam zu finden." Recht hat er! Und fährt fort: "Die meisten antiken Ostertafeln existieren aber offenbar nicht wirklich, sondern sind aus der Literatur 'erschlossen'." Eben, und zwar zum Teil erst im 19. Jahrhundert und von Philologen, die ihr Fach besser verstanden als alle heutigen Wissenschaftler zusammen.

Dies findet auch Heribert Illig, der nun als vierter seine Meinung kundtut, weit weniger spektakulär, als man es sonst bei ihm gewohnt ist. Wer erwartet hatte, daß Illig die Artikel von Voigt und Lewin nur druckte, um so siegessicherer alle zu widerlegen, der hat sich diesmal geirrt. Illig geht recht kleinlaut an die mächtig ausgebreiteten mathematischen Folgerungen heran, wobei ganz ungewohnt auch Uwe Topper zitiert wird (statt 1997 müßte es 3/1996 heißen; im Literaturverzeichnis fehlt diese Angabe leider, dafür steht hier der unrichtige Buchtitel: "Erfundene Zeitrechnung", richtig wäre "Erfundene Geschichte", aber man weiß in diesem Kreise ja, welches meiner Bücher gemeint ist.) Breiten Raum (mehr als zwei Seiten des neunseitigen Artikels) widmet er wieder dem populären Arno Borst, wählt aber diesmal doch kritische Sätze aus, die Illig eher recht geben.
"Waren wir 1991 nicht schon weiter?" fragt Illig (S.479) und begründet die Ansicht, daß hier ein Rückfall hinter schon erreichte Ziele vorliegt, mit einem längeren Zitat aus einem seiner damaligen umstürzenden Artikel, die seinen heutigen Ruhm begründen. Daß wir inzwischen noch viel weiter gekommen sind, nimmt er leider nicht zur Kenntnis. Deswegen plagt er sich mit den genannten Mathematikern herum, die nur nachweisen - wie der Berliner Astronom Herrmann - daß die Berechnungen des 19. Jahrhunderts mathematisch keine Fehler aufweisen. Was von niemandem bezweifelt wurde.
Einfacher wäre es gewesen, er hätte darauf hingewiesen, daß Ostern in ungleichen Abständen von Jahr zu Jahr springt, weshalb eine Fortsetzung irgendeines Osterzyklus bei einem nachträglich eingeschobenen Zeitintervall keine Bedeutung hat. Und damit wäre der ganze Spuk der Mathematiker vom Tisch gefegt.

Der erste, der extern auf den Vortrag bzw. Artikel von Voigt reagierte, und zwar ziemlich heftig, wie ihm zusteht, war Christoph Marx (www.paf.li). Er bemängelte zunächst das Gedankenexperiment, in dem Voigt sich als Außerirdischen von einer fernen Galaxie sieht, der die Kalenderjahre "mit realen Begebnissen zu füllen" trachtet (S. 422). Dabei habe er "keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten bis zum Jahr 1000 n. Chr. hin." Was danach liegt, nennt er Gegenwart, davor liegt Dunkelzeit.
Diese Unterscheidung könnte zwar von Illig stammen, ist aber keineswegs wissenschaftlich allgemein eingeführt und hat keine Chance, als Diskussionsgrund angenommen zu werden. Daß unsere materiellen Quellen, soweit es um die Datierung geht, vor etwa 500 Jahren schon brüchig werden und im 15. Jh. insgesamt aussetzen, ist Voigt noch nicht aufgefallen.
Marx begreift die Taktik von Voigt als den Versuch, eine angeblich zweitausend Jahre hindurchlaufende christliche Zählweise zu retten, ohne Illigs grundlegende Erkenntnis der dafür archäologisch fehlenden Ereignisse anzugreifen. Marx sagt u.a.:
"Weil auch der ganze "Phantomzeit"-Zauber ... in den auf das - menschengottheitliche! - "Osterereignis" retrokalkulierten christlichen Kalender verkettet ist, kann infolge des LGR (= Letzter Grosser Ruck, bislang letzter einer Serie von Kataklysmen in der Mitte des Trecento, hervorgerufen durch eine Repositionierung der Erde) als Ursache der GKR (Gregorian. Kalenderreform) von einer derart hirnverbrannten aktualistischen Mondretrokalkulation wie im vorliegenden Artikel vor die Mitte des Trecento auch für einfache Geister, ..., ja nicht die Rede sein: wieso wird dann aber immer wieder - diesmal sogar unter Bemühung von Ausserirdischen - derartiger Stumpfsinn der Christengottheit dargehöht? Um ihr die christlich gebundene Phantomzeit zu erhalten & dafür die Vernunft zu opfern?"

Literatur

Marx, Christoph (zeitlos) www.paf.li
Topper, Uwe (1996): Leserbriefantwort auf Voigt, in VFG 3/1996, S. 398
(1999): Erfundene Geschichte (München)
(2004): Jörg Dendls Argument ist ein Zirkelschluß in: "Zeitschrift für Anomalistik", Hrg. Edgar Wunder (Sandhausen), Bd.4, S. 206-210
(2005): www.cronologo.net
Voigt, Ulrich (2000): "Zeitensprünge und Kalenderrechnung" (in ZS 2/2000, S. 296-309)
(2003): Das Jahr im Kopf (Likanas, Hamburg)
(2005): "Über die christliche Jahreszählung" mit Kommentaren von K.-H. Lewin, Andreas Birken und Heribert Illig (in ZS 2/2005, S. 420-481)


*) Der Text über die Ostertafel des Anatolius stammt aus dem angeblichen Rufinus (dem lateinischen Eusebius) publiziert durch Aegidius Bucherius in seiner Abhandlung über die Zeitrechnungen, Doctrina Temporum (Antwerpen 1634). Da der Text namentlich Autoren (Isidor, Hieronymus), die offiziell nach Anatolius gelebt haben sollen, als Vorgänger anführt, kann es sich nicht um eine auszugsweise Übersetzung des Textes von Anatolius handeln, sondern bestenfalls um eine Nacherzählung.


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