Geschichtsanalyse im romanischen Bereich
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Uwe
Topper
Berlin, 2005. |
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Vortrag gehalten im Geschichtssdalon zu Potsdam am 20. März 2005 |
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Eine Abgrenzung der verschiedenen europäischen Regionen in Sachen Geschichtsanalyse ist zwar künstlich, aber dennoch erkennbar. Es geht vermutlich um die Sprachbarriere, der die einzelnen Autoren unterliegen. Durch die unermüdliche Arbeit als Übersetzer und Vermittler der russischen Geschichtsanalytiker hat Eugen Gabowitsch unserem Arbeitskreis die osteuropäischen Ideen und Veröffentlichungen nahegebracht und uns auch auf dem Laufenden gehalten über die neuesten Entwicklungen dort. Meine eigenen Bücher, die ins Ungarische, Bulgarische und Russische übersetzt wurden, haben den umgekehrten Brückenschlag begonnen. Unsere Verbindungen in den englischen Sprachraum sind weniger intensiv gewesen, fehlten aber nicht. Zahlreiche unserer Artikel sind ins Englische übersetzt und auf Internetseiten auffindbar. Die Londonreise, die Christoph Marx, Eugen Gabowitsch und der Autor im November 1998 zum ISIS-Treffen unternahmen, war ein weiterer Schritt, die deutsche Geschichtsanalyse in Sachen Mittelalter auch dort bekannt zu machen, was ein aufmerksames Publikum fand, denn die ISIS (International Society für Interdisciplinary Studies) hat nur in den Bereichen der Geschichte des Nahen Ostens wie auch der antiken Griechen Resultate für eine neue Chronologie vorgelegt. Leider wurde das romanische Gebiet Westeuropas bisher wenig beachtet. Diesem Mangel will die vorliegende Besprechung abhelfen. |
Frankreich |
Seit mehreren Jahrzehnten arbeitete in Frankreich ein selbständiger Denker, der zwar nicht genau unsere Richtung eingeschlagen hat, aber doch als Parallelerscheinung zu unserer Arbeit herauszuheben wäre: Jacques Touchet in Carcassone. Der Name ist hier selten gefallen, darum will ich über seine Arbeit kurz berichten. Einer der frühen Querdenker mit Durchblick, auf den sich Touchet häufig beruft, ist der etwas geheimnisumwobene Litauer Oscar Venzeslas de Lubicz-Milosz (1877–1939), der um 1920 in Paris Bücher über die Ursprünge des jüdischen Volkes aus Spanien und über die Apokalypse des Johannes, die er ganz eigenartig entschlüsselte, veröffentlicht hat. Touchet griff vor allem die Idee auf, daß die Iberer im Grund Semiten sind und unsere Kenntnisse der Bibel von dorther stammen. Mit ausführlichen Nachweisen über die Ortsnamen und die Entstehungsweise der heiligen Texte konnte Touchet darlegen, daß diese Ideen wissenschaftlich vertretbar sind. Er gründete Ende der 70-er Jahre eine Zeitschrift, die recht große Verbreitung fand und bis heute weiterbesteht, wenn auch in letzter Zeit nur noch selten Exemplare erschienen sind: »Mediterranea«. Sie kam lange Zeit alle drei Monate heraus und enthielt hochinteressante Artikel für ein neues Geschichtsbild des Mittelmeerraumes, außerdem Gedichte, Nachrichten aus der Welt der Archäologie und Historie, Streitschriften mit Gegnern, Witze und sogar gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik. Ich fand das sehr bemerkenswert und habe den alten Herrn vor einigen Jahren auf seinem Landsitz bei Carcassonne in Südfrankreich besucht, wo er mir in seiner sehr reichhaltigen Bibliothek viele Stunden lang seine Ideen auseinandersetzte. Besonders das, was ich in meinem Buch »Das Erbe der Giganten« zum Ausdruck gebracht hatte, begeisterte ihn, so daß er eine Zusammenarbeit anstrebte. Unsere neuere scharfe Abkehr von der schwärmerischen und künstlerischen Deutung der Frühgeschichte, wie er sie pflegt, hat er allerdings nicht begriffen. Als ausgezeichneter Kenner moderner und antiker Sprachen, besonders auch des Hebräischen, hat Touchet einen nicht leicht beiseitezuschiebenden Standpunkt entwickelt, der in seinem Buch »La Grande Mystification« von 1992 ausführlich dargelegt ist. Seine Verknüpfung von iberischen Runen mit phönizischen Buchstaben deckt sich stellenweise mit den von mir aus ganz anderem Umfeld, nämlich von den Felsbildern her, gewonnenen Erkenntnissen. Aus den von Touchet erschlossenen Zusammenhängen müßte man eigentlich dahin kommen, daß die klassische Aufteilung der Sprachen in semitische, hamitische und japhetitische (oder indogermanische) keine Berechtigung hat und heute ganz anders gesehen werden muß. Trotz des großen Überblicks ist es aber Touchet nicht gelungen, auch eine völlig neue Sicht der Zeiträume darzustellen. Obgleich ich täglich französisch lese und meine Augen stets offenhalte, ist mir doch nie ein Artikel oder Buch begegnet, in dem auch nur andeutungsweise die Chronologiekritik behandelt würde, wie sie nun seit mehr als zwei Jahrzehnten in Deutschland betrieben wird. Nicht einmmal Velikovskys Schriften sind in Frankreich wohlwollend aufgenommen worden. Durch einen Biologen erhielt ich nun die Bestätigung: François de Sarre in Nizza an der Mittelmeerküste. Er schreibt das erste französische Buch, das die deutsche Sicht der Geschichtsanalyse in Frankreich bekanntmachen wird. Vermutlich ist auch hier wieder die Sprachbarriere das eigentliche Hindernis gewesen. De Sarre ist zweisprachig, oder sogar dreisprachig, wenn man neben dem Französischen und dem Deutschen auch noch seinen heimatlichen pfälzischen Dialekt dazurechnet, den er durchaus auch schreibt. Wie gesagt, er ist Biologe und hatte bis vor kurzem ein kontrovers angesehenes aber durchaus wissenschaftliches Institut geleitet, das CERBI (Centre d’Ètudes et de Recherches sur la Bipédie), und gab die mehrmals im Jahr erscheinende kleine Zeitschrift »Bipédia« heraus, in der es um die Ursprünglichkeit der Zweibeinigkeit des höheren Säugetierstammes geht. Das erste Exemplar, das ich erhielt, die Nr. 14 von März 1997, zeigte mir, daß hier ein Wissenschaftler mit den logischen Gedanken seiner Zunft versucht, die eingefahrenen Wege des Darwinismus zu verändern; Edgar Dacqué zählt er zu seinen Vorarbeitern. Über diesen auch für uns grundwichtigen Geologen aus München einigten wir uns dann recht schnell und begannen einen Meinungsaustausch, der darin gipfelte, daß de Sarre einen Artikel von mir ins Französische übersetzte und beide Fassungen, die deutsche und die übersetzte, in seiner »Bipédia« veröffentlichte (über die Heidenmauer am Odilienberg im Elsaß). De Sarres Pionierarbeit war sein Buch von 1999 über die Entstehungsgeschichte des Mittelmeeres, »Als das Mittelmeer trocken war«, wo er sich als fähiger Verarbeiter der von Spanuth, Muck, Horst Friedrich und mir sowie auch von Touchet und anderen vorgeschlagenen Szenarien erwies und einen Schritt weitergelangte als die geologische Forschung bisher. Dazu befähigte ihn besonders sein Wissen als Biologe. Statt der vielen Millionen Jahre, die in geologischer Sprache immer noch angewandt werden, wenn es um so drastische Vorgänge wie die Bildung des Mittelmeeres geht, zieht de Sarre nun in Betracht, daß das alles in wenigen Jahrtausenden geschehen sein könnte. Diese chronologieumstürzenden Ansätze sind folgerichtig vorgebracht und dürften den akademischen Geologen Schwierigkeiten bereiten. So ist mit diesem Zweisprachler ein erster Schritt gelungen, den Rhein zu überspringen. Inzwischen ist ein neues Manuskript von de Sarre fertigegestellt, das ich sorgfältig durchgesehen habe. Der Verleger hat leider in letzter Minute die Arbeit abgelehnt, was vermutlich finanzielle Gründe hat. Damit wird der Versuch, auch die Franzosen endlich in die wichtige Arbeit an der Chronologie einzubeziehen, wieder einmal hinausgezögert. Da es tatsächlich am Sprachproblem zu hängen scheint, ob sich eine Idee in einem Nachbarland ausbreiten kann, muß hier auch die unermüdliche Arbeit von Karin Wagner erwähnt werden, die zwar bisher noch nicht gedruckt in Erscheinung getreten ist, aber elektronisch schon viele anregende Ideen verbreitet hat, die hoffentlich bald auch Früchte tragen werden. Soweit zur französischen Barriere, in Italien steht es nicht besser. |
Italien, Spanien, Portugal |
Aufschlußreich ist, wie der angesehene italienische Historiker Luciano Canfora mit seinem Buch über die verschwundene Bibliothek (La biblioteca scomparsa 1986, deutsch 1998) in humorvoller doch unwiderlegbarer Kritik die Berichte von den großen Bibliotheken des Altertums mit ihren Hunderttausenden von Schriftrollen als Märchen aufdeckt. Glauben Sie, daß irgend jemand sich daran gestört hätte? Nun zur spanisch-portugiesischen Literatur, die uns noch etwas ferner zu sein scheint. Die Pyrenäen grenzen ja eine Halbinsel ab, die schon immer gern allein sein wollte. So sind auch die dortigen Bemühungen uns hier kaum zu Ohren gekommen, es sei denn durch meine grenz- und sprachüberschreitenden Vorstöße. Ich will hier vor allem vier Männer erwähnen, deren Bücher durchaus ins Deutsche übersetzt werden sollten. Da ist zuvorderst der von mir schon häufig genannte Ignacio Olagüe, (1903–1974), der sein erstes Buch zum Thema in Französisch schrieb, weil er in Frankreich lebte. Er hatte damit schon eine Barriere durchbrochen, und das dürfte zu seiner Popularität beigetragen haben. Ein weiterer Pluspunkt war seine Wirkung auf die Emanzipationsbewegung in Spanien, die von Victoria León de Sendón erkannt und propagiert wurde. Olagüe fühlte sich als Schüler von Oswald Spengler und damit einem Geschichtsmodell verpflichtet, das eine neue Sicht der spanischen Geschichte ermöglichte. Das wurde nicht gleich erkannt, ist aber heute durch eine sehr ordentliche Neuausgabe seines Hauptwerkes gewürdigt worden: »La Revolución islámica en Occidente«, zuerst 1974 in Barcelona erschienen, nun im September 2004 in Córdoba erstmals seit dreißig Jahren wieder aufgelegt. Das hing vermutlich auch mit meiner Propagierung dieses Werkes zusammen, die ja bis ins ferne Moskau Wellen geschlagen hat, wie man in dortigen Internetseiten nachlesen kann. Aber Olagüe hatte – so umstürzend seine neue Sicht auch ist – den Sprung zur Korrektur der Jahreszahlen noch nicht geschafft. Und das ist ja gerade das aufregend Neue an unserer Arbeit. Olagües Durchbruch gehört noch zur weltanschaulichen Erneuerung, einer Geschichtsanalyse, die schon Spengler gelang, ohne daß die schon Jahrhunderte vorher erfolgte Erkenntnis von Hardouin und anderen Jesuiten, nämlich daß die Geschichte vor 1500 reine Erfindung sein muß, diesen erlauchten Geistern bekannt gewesen wäre. Das läßt einige Rückschlüsse zu, die Olagües Arbeit heute veraltet erscheinen lassen. Überraschend war für mich die Arbeit des etwas jüngeren Julio Caro Baroja, (1914–1995), eines anerkannten Anthropologen aus berühmter Famile, der 1991 eine ganz besondere Art der Geschichtsfälschungsaufdeckung vorstellte: »Las falsificaciones de la historia«. Er durchbrach das katholische Vorurteil und verblüffte seine Leser mit dem Gedanken, daß die gesamte Geschichtsschreibung, die im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien theologischerseits (und das heißt: allein) gültig war, ein reines Lügengespinst ist, was sogar alle Beteiligten damals wußten. Es handelt sich um den Thubalismus, eine besondere Spielart theologischer Erfindung, die aber den orientalischen Geschichten an Fabulierkunst nicht nachsteht. Die angeblich antiken Autoren Berosos und Manethon sind zweckbedingte Literatur mit ihren krausen Zeittafeln; ihre Entstehung in der Renaissance kann lückenlos nachgewiesen werden. Indem nun Caro Baroja diesen Umstand sehr deutlich herausstellt, wertet er gleichzeitig die für Ägypten und Mesopotamien geltenden Geschichtsschreibungen ab als Erfindungen einiger weniger Personen des 16. Jahrhunderts. An vorderster Stelle nennt er den Italiener Annius von Viterbo, der zwar den Thubalismus nicht allein erfunden hat – Josephus Flavius und Augustinus waren Mithelfer – aber doch mit seiner Autorität und seiner Verbeugung vor den spanischen Herrschern eine Historie in die Welt setzen konnte, die bis heute nur teilweise ausgejätet wurde. Albert Krantz und Isaac Casaubonus gehören zu den Mittätern in Mitteleuropa, die diese Fälschungen unterstützten. Unter dem Deckmantel der Sagen haben sich historische Nachrichten mitverbreitet, die heute noch als echt gelten, wogegen man den Thubalismus in Spanien schon im 18. Jahrhundert aussortiert hat. Caro Baroja merkt in diesem Zusammenhang an, daß derartige Traditionen, wie sie die Thubalisten produzierten, im Gegensatz zu denen des 19. Jahrhunderts stehen und »schwer zu sagen ist, was historisch gesehen falscher ist.« Dieser Durchblick, der aus dem gesamten Buch spürbar wird, dürfte die Grundstimmung auch unserer Geschichtsanalyse sein. Wann er in Spanien zur Lehrmeinung wird, ist wohl eine Frage der Zeit. Mit Berufung auf den gelehrten Caro Baroja ließe sich der Wandel beschleunigen. Die Thematik von Caro Baroja ist in ausführlicher Weise auch schon von dem sehr gebildeten Anthony Grafton (Forgers and Critics, 1990) in englisch dargestellt worden, wobei er sich mit der Person des Annius von Viterbo beschäftigt, ohne jedoch zu erkennen, daß dieser Autor um die 1500-er Wende um einige Jahrzehnte später angesetzt werden muß, wie ich in meinem entsprechenden Kapitel in „KalenderSprung“ (2006, S. 201 ff) begründe. Es liegt bei Olagüe, Caro und Crafton dieselbe Kurzsichtigkeit vor, die allen neueren geschichtsanalytischen Versuchen anhaftet: unkritische Übernahme der konventionellen Chronologie. Bemerkenswert finde ich, daß das Buch von Caro Baroja gerade in dem Moment erschien, als die deutsche Mittelalterthese erstmals zur Sprache kam, 1991. Im selben Jahr ist der Auslandsdeutsche Rainer Daehnhardt mit einer anders gearteten Aufdeckung in Lissabon hervorgetreten: Er hielt einen Vortrag im Gulbenkian-Institut (etwa der Berliner Urania vergleichbar), der mit so großem Interesse verfolgt wurde, daß er schon vor Beginn in einen größeren Saal verlegt werden mußte und später als Buch gedruckt wurde. Dies war just im selben Jahr 1991, in der Niemitz und Illig die mittelalterliche Chronologie aufbrachen. Das Buch ist kürzlich wieder erschienen, diesmal mit französischer Übersetzung zugleich, so daß es von einer größeren Anzahl von Lesern aufgenommen werden kann. Daehnhardt wußte bis vor kurzem nicht, daß dafür in Deutschland Interesse besteht. Erst durch den Briefaustausch mit mir ist er auf die neue Dimension der Geschichtslügenaufdeckung in Deutschland aufmerksam gemacht worden. Das bedeutet zugleich, daß seine Forschungsergebnisse, da unabhängig von uns erfolgt, einen gewissen Eigenwert besitzen. Er hatte festgestellt und mit seinem umfangreichen archäologischen Wissen, das er auf vielen Reisen gewonnen hat, auch untermauern können, daß der Templerorden keineswegs kurz nach 1300 vernichtet worden war, wie die allgemein geglaubte Geschichte verkündet, sondern um 1500 noch in voller Blüte gestanden haben muß. Die portugiesischen Entdeckungsreisen sind Frucht der Templer, ihrer Seefahrerkenntnisse und weltweiten Verbindungen. Der chronologische Sprung über zwei bis drei Jahrhunderte ist hier unverhüllt dargestellt. Für mich ist das eine schöne Bestätigung, da ich in meiner Untersuchung der Gemälde von Bosch diesen Gedanken an der Person Heinrich des Seefahrers ausgesprochen hatte (ebenfalls veröffentlicht zuletzt in „KalenderSprung“ 2006). In meinem ersten Buch zum Thema, »Die Große Aktion« (1998), hatte ich schon den portugiesischen Priester Miguel de Oliveira erwähnt, der auf den Forderungen des 2. Vatikanischen Konzils der 1960er Jahre fußend die Heiligenmärchen angegangen war. In seinem 1964 in Lissabon erschienenen Buch »Legende und Geschichte« versucht er, die beiden Bereiche zu trennen. Er demaskiert zum Beispiel die Geschichtlichkeit des Schutzpatrons des spanischen Königreiches, Santiago, als frommen Unfug. Keine tausend Jahre könne diese Legende schon bestehen, weist er an Hand des kirchlichen Materials nach, und verkürzt damit die Legende um ein ganzes Jahrtausend. Das ist mutig und hätte viele Nachfolger beflügeln müssen, blieb aber eher eine Einzeltat. Oliveira beschäftigte sich auch mit dem Thubalismus und konnte mir manchen wertvollen Fingerzeig geben, dem nachgehend ich – ähnlich wie Caro Baroja, den ich damals noch nicht kannte – diesen wüsten Knäuel spanischer Geschichtsschreibung durchschauen lernte. Tatsächlich sind ja die Heiligenlegenden nicht irgendwelche netten Geschichtchen für Gläubige, die uns heute nichts mehr angehen, sondern Grundlage und Rückgrat der Geschichtsschreibung seit dem 16. Jahrhundert geworden. Sehr viele angeblich historische Ereignisse sind irgendwie an die »Goldene Legende« gebunden. Und die Schöpfer der heutigen Heiligengeschichte mit allen Märtyrern und Konzilienberichten waren Papebroich und Baronius; ihr Werk wird bis heute in Belgien fortgesetzt. Gegen diese Erfindungen hat sich der Priester Oliveira aufklärend gewandt. Allen Kunstliebhabern und Historikern ist immer wieder aufgefallen, daß es architektonische und bildnerische Parallelen zwischen der Alten und der Neuen Welt in Fülle gibt. Denken wir nur an die Pyramiden der Mayas in Mittelamerika und vergleichen sie mit den ägyptischen. Wenn solche Gebäude und alles was an Einzelheiten dazugehört – bis hin zur Hieroglyphenschrift – völlig unabhängig voneinander entstanden sind, einfach weil der menschliche Geist sehr beschränkt ist und immer wieder auf dieselben Muster zurückfällt, dann haben wir keine Probleme mit der Chronologie. Dann konnten alle Völker zu allen Zeiten gleichartige Schöpfungen hervorbringen. Wenn man aber die Diffusionstheorie beweisen kann, und das ist ganz einfach: man braucht nur darauf hinzuweisen, daß in Pharaonenmumien Nikotin und Kokain gefunden wurde, was ja nur in der Neuen Welt wuchs, also mit Schiffen hinübergebracht werden mußte, womit dem Austausch auch geistiger Güter keine Grenzen gesetzt sind, dann ergeben sich unüberwindliche Schlußfolgerungen: Die Ägypter hörten angeblich vor zweitausend Jahren auf, Pyramiden zu bauen, und die Mayas begannen vor rund tausend Jahren erst damit. Man braucht aber keine tausend Jahre, um mit einem Segelboot den Atlantik zu überqueren. Hiermit ist die chronologische Diskrepanz zwischen den Amerikanisten und den Ägyptologen offen dargelegt. Da die Amerikanistik, gestützt auf ihre aufwendigen Untersuchungen des Mayakalenders, keine Umdatierung vornehmen will, bleibt den Ägyptologen nur der unvermeidliche Schluß, die auf Manethon und Berosos und die Bibel begründeten Jahreszahlengerüste fallenzulassen, was Gunnar Heinsohn seit mehr als 15 Jahren fordert. Die vorwiegend spanisch schreibenden Kenner der Mayakultur müßten dies als Ansporn zur Neuschreibung herausbringen. Für mich war es immer erstaunlich, daß die so früh schon laifizierten Franzosen aus ihrer Aufklärung keine Folgerungen gezogen haben und heute jene Geschichtsmärchen glauben, die sie einst als Christen selbst miterfunden hatten, auch wenn zahlreiche Kritiker damals deutlich dagegen eingeschritten waren (Jean Hardouin, Jean de Launoy, Barthelemy Germon und weitere Jesuiten, siehe Topper 1998). Andererseits hatte ich den Spaniern zugute gehalten, daß sie durch die kirchliche Unterdrückung wohl nur schwer umdenken würden. Hier liegt der Fall jedoch etwas anders. Im Gespräch mit Archäologen erfuhr ich immer wieder, daß man in Spanien – das ist man wohl seiner Besonderheit schuldig – eine durchaus eigene Chronologie der Frühgeschichte vertritt, womit die allzu großen Unterschiede zwischen Lehre und Bodenfunden geringer werden. Als Überrest des Thubalismus wird nämlich die phönizische Kolonisierung Spaniens sehr spät angesetzt, frühestens im 7. Jh. v.Ztr., und damit um ein halbes Jahrtausend später als die entsprechenden Vorgänge für die orientalische Geschichte gefordert werden. Die Überwindung des Thubalismus im Barock hatte etwas Gutes für Spanien, dem dadurch rund zweitausend Jahre „Historiographie“ des Orients erspart blieben. Wenn ich heute dort die Kritik an den hohen Jahreszahlen vortrage, ernte ich mitleidiges Lächeln. Bei uns hier in Spanien, sagt man mir, gibt es nicht diese überzähligen Jahrtausende wie im Orient; bei uns beginnt Geschichte tatsächlich erst mit den ›orientalisierenden‹ Einflüssen, also den Handelshäfen der Ägypter, Phönizier und Griechen im 7. Jh. vor Chr. Und echte Geschichte beginnt hier erst mit den Römern. |
Literatur |
Canfora, Luciano (1986): La biblioteca scomparsa (deutsch: Die verschwundene Bibliothek, 1998) |
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