Die
ERA, eine spanische Zeitrechnung
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Uwe
Topper
Berlin · 2006 |
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Die julianische (Provinz-)Aera,
meist einfach Era genannt, wurde nach Ansicht der Historiker vom 5. bis
15. Jahrhundert in Westeuropa benützt zu einer Zeit, als man die
Inkarnations-(AD-)Jahreszählung noch nicht kannte oder erst allmählich
zu verwenden begann. |
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Stein aus Granada (Alhambra) der Weihinschriften für drei verschiedene Kirchen aufweist; mit freigelassener Stelle für Datum (oben links) und nachgetragenem ERA-Datum (unten rechts) |
Da man für die Umrechnung stets 38 Jahre abziehen muß, um
das Jahr unserer christlichen Zählung zu erhalten, wird die Einführung
auf das Jahr 38 v.Chr. festgelegt. Man findet jedoch keine Erklärung
für diese Festlegung. Es bleibt rätselhaft, auf welches Ereignis
im Jahre 38 v.Chr. sich der Beginn der Era beziehen könnte. Zur Prüfung der julianischen Era nahm ich mir Emil Hübners lateinisches Werk über die Inschriften des christlichen Spanien vor (Berlin 1871), das immer noch - auch in Spanien selbst - als grundlegend und zuverlässig gilt. Da finden sich zum Beispiel drei Weihinschriften an Kirchen in der Provinz Cádiz, die Daten im 7. Jahrhundert tragen und einen Bischof Pimenius nennen, der durch Konzilsberichte aus Toledo ebenfalls bekannt ist. Diese drei steinernen Inschriften werden von allen Wissenschaftlern als unverdächtig und echt angesehen und beweisen ihnen damit, daß es im 7. Jahrhundert in Spanien Christen gab, die nach der heidnischen Era datierten. Die drei auf den Steinen eingemeißelten Jahreszahlen lauten 668 Era (das wäre 630 unserer Zeitrechnung, AD), 682 Era und 700 Era. Den Konzilsakten von Toledo zufolge hat Pimenius sein Amt als Bischof von Sidonia (Prov. Cádiz) mindestens von 671 Era bis 684 Era innegehabt, was sich wenigstens mit der mittleren der drei Inschriften in Übereinstimmung bringen läßt. Da mir diese Inschriften äußerst solide vorkamen, reiste ich
nach Medina Sidonia und sah mir den ältesten dieser drei Steine eingehend
an. Die Inschrift auf der Marmorsäule ist bestens erhalten und gut
lesbar: Was zu Deutsch heißt: "Geweiht wurde diese Basilika am 16. Dezember im zweiten Amtsjahr des Pimenius Era 668". Es fehlt nur jeweils der erste oder letzte Buchstabe bei allen Zeilen, da er zu sehr am Rand stand und die Säulenkante nachträglich säuberlich schräg abgeschlagen worden war. Zufällig ist gerade die Jahreszahl am äußersten Rand angebracht und zweigeteilt, nämlich ERA dC (=600) in der vorletzten Zeile, dahinter könnte ein weiteres C gestanden haben, und darunter alleinstehend LXVIII (=68), was nicht nur Verstümmelung sondern auch Fälschung des wichtigsten Elementes möglich machte, indem man später ein C (=100) tilgen konnte. Diese Inschrift ist die älteste Weihinschrift einer christlichen Kirche in Andalusien, worauf man in der Stadt mit berechtigtem Stolz hinweist. Ist sie echt? Die Frage ergibt sich aus mehreren Gründen. Zum einen ist die Stelle, an der die Inschrift steht, wohl nicht die ursprüngliche, denn sie befindet sich sehr niedrig (in kaum 1 m Höhe) an einer der vier Säulen der Basilika; während die anderen drei Säulen einheitlich aussehen, fällt diese vierte Säule völlig aus dem Rahmen. Außerdem würde ich eine Weihinschrift über dem Eingangsportal erwarten oder am Altar, keineswegs so, daß sie von den Betenden verdeckt wird. Bei der Restaurierung der Kirche hätte man also eine Säule verwendet und unglücklich eingebaut, die früher ganz woanders gestanden haben müßte. Die Namen der Märtyrer, die sich im vorigen Jahrhundert ebenfalls auf der Säule befanden und denen die Basilika geweiht ist, sind heute nicht mehr vorhanden, ganz im Gegensatz zu der bestens leserlichen Weihinschrift. Sie wurden fein säuberlich abgeschlagen, aber warum? Die einfachste Erklärung ist die, daß die Namen der meisten Heiligen der Dogmenentwicklung der Kirche unterworfen sind und den Zeitpunkt ablesen lassen, zu dem sie gerade verehrt wurden. Wenn so verräterische Namen wie Cosimus und Damian auftauchen, ist der Anachronismus leicht erkennbar. Die Namensliste mußte also entfernt werden, als das Dogma sich gewandelt hatte, sie ist aber aus einem anderen Pimeniusstein bekannt, wo der umgekehrte Fall durchgeführt wurde: Man ließ die Märtyrernamen stehen und entfernte die Zeilen mit dem Datum, so kann auch dort kein Anachronismus gezeigt werden. |
Nebeneinandergestellt beweisen die beiden Inschriftsteine, daß hier manipuliert wurde, und das macht die Daten als Beweisstück unbrauchbar. Im Laufe langer Untersuchungen stellte ich fest, daß praktisch alle spanischen Steininschriften mit Era-Daten gefälscht sein müssen (siehe Topper 1998, Kap. 5). Darum möchte ich jetzt allgemein etwas zu dieser Jahreszählung sagen. Wir werden dabei merken, warum uns auch echte Inschriften nicht zum Ziel führen würden. |
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Inschrift aus Córdoba, dem Gotenkönig Swintila zugeschrieben, mit dem Datum 665 ERA und dem typischen Kreuz der Wiedereroberer aus dem 12. Jh |
Wann wurde die ERA eingeführt? Nicht völlig geklärt ist, seit wann die julianische Era benützt
wurde. Hübner (1871, Nr. 113) bringt als "älteste zweifelsfreie
Inschrift" den Grabstein einer Frau, die "504 ERA" gestorben
war. Ein anderer Grabstein bezeugt die "Dienerin Gottes, die mehr
oder weniger 70 Jahre gelebt hatte und ERA 552 starb". Diesen Stein
konnte ich mir 1997 noch im Museum in Cádiz ansehen, nach der Veröffentlichung
meines Buches wurde er entfernt. |
Das magische Jahr Tausendeins Die Erwartung des Tausendjahrreichs hat uns unsere Zeitrechnung beschert.
Durch die Fehler der Zählweise hat sie auch den Schlüssel mitgeliefert,
die Manipulation bei deren Einführung zu durchschauen. Einen ersten Hinweis dafür fand ich schon bei den Steininschriften, die Hübner registriert hat. Da ist z.B. seine Inschrift Nr. 489: Das darin genannte Jahr Era 621 (das wäre 583 AD) kann offensichtlich nicht stimmen, sagt Hübner, denn aufgrund von schrift- und kunsthistorischen Erwägungen gehört die Inschrift ins 9. Jahrhundert (S. 117). |
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Angeblicher
Grabstein des byzantinischen Feldherrs Belisar (in Spanien) mit freigelassenem
Alter und Todesdatum
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Mit Leichtigkeit setzt sich der Kenner über drei Jahrhunderte hinweg,
den Inhalt der in Stein gemeißelten Inschrift einfach mißachtend.
Der paläographische oder architektonische Zusammenhang ist aussagekräftiger
als ein eingemeißeltes Datum. Dieses Beispiel steht für viele
gleichartige, die ich untersucht habe. Wie ich schon sagte, halte ich
alle - auch diese - Era-Datierungen für spätere Versuche einer
theologischen Geschichtsschöpfung. Was aus Hübners Aussage für
uns übrig bleibt, ist nur die Erkenntnis, daß es mindestens
zwei verschiedene Chronologien gegeben haben muß, von denen eine,
die jüngere mit dem 300-Jahressprung, sich bis heute festgesetzt
hat. Hübner hielt diese für zutreffend und mußte den unter
anderen Gesichtspunkten um drei Jahrhunderte früher datierten Stein
als unrichtig ablehnen. |
Literatur: Hübner, Emil (1871 und 1900): Inscriptiones Hispaniae Christianae,
mit Supplementum (G. Reimer, Berlin; neue Auflage Hildesheim 1975) |
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