Die von Jörg
Dendl [in seinem Beitrag "Karl den Großen gab es doch!";
Zeitschrift für
Anomalistik, Bd. 4 (2004)] vorgebrachten Argumente besagen
nichts für oder gegen einen eventuellen Kaiser Karl d. Gr., sondern
konzentrieren sich auf die Kalenderreform von Papst Gregor XIII. Sie betreffen
also nur einen hypothetischen "Sprung" über 297 Jahre in
unserer Zeitrechnung. Meine Argumentation wird sich darum nicht auf Karl
d.Gr. sondern nur auf die angesprochene Thematik beziehen.
Der Problemkomplex wurde vor mehreren Jahren ausführlich im Berliner
Geschichtssalon (ab 1994), im PAF (Basel), in "Zeitensprünge"
(Gräfelfing), und auf verschiedenen Treffen und Tagungen besprochen,
taucht aber immer wieder in Leserfragen und Vortragsdiskussionen auf,
weshalb ich eine erneute Untersuchung begrüße.
1. Zum Konzil von Nizäa:
Dendl schreibt: Schmid (1905, S. 52) schreibt: "Was auf dem Konzil
zu Nicäa in der Osterfestfrage im einzelnen verhandelt wurde, ist
nicht bekannt, da die Akten dieses Konzils nur unvollständig auf
uns gekommen sind; die einzige amtliche Quelle für unsere Kenntnis
der daselbst gepflogenen Verhandlungen bilden der Brief der Synode an
die Kirche von Alexandrien und das Zirkularschreiben des Kaisers Konstantin."
Die Akten des Konzils sind nicht "unvollständig", sondern
gar nicht "auf uns gekommen", da die einzige Quelle zur Einsichtnahme
der besagte Brief und das Zirkularschreiben sind, die den Akten oder einem
Teil davon nicht gleichgestellt werden können (siehe auch Topper
1999, S. 136 f., wo dargestellt wird, daß nicht einmal die Zahl
und Art der Teilnehmer des Konzils vertrauenswürdig überliefert
ist, von Akten keine Spur).
Selbst der von Dendl zitierte Schmid "kommt zu dem Schluss: "Die
Annahme, dass die nicänischen Väter die oben angeführte
dreifache Osterregel aufgestellt und deren Befolgung vorgeschrieben haben,
entbehrt der Begründung" (Schmid 1905, S. 113)."
"Richtig ist aber, dass diese Festlegung erst in den auf Nicäa
folgenden Jahrhunderten entwickelt wurde," schreibt Dendl.
2. Zum Frühlingszeitpunkt:
Der von Dendl zitierte Satz aus der Bulle zur Kalenderreform von Gregor
XIII : "Quo igitur vernum aequinoctium quod ad a Patribus Concilii
Nicaeni ad 12. Kalend. Aprilis fuit constitutum." enthält den
wichtigen Punkt, der beachtet werden muß : Weder hier noch sonst
irgendwo steht in der Bulle, daß dieses Konzil von Nizäa vor
1257 Jahren (von damals aus) bzw. im Jahr " 325 AD" stattgefunden
habe. Das ist eine Information, die erst später von außerhalb
hineingefügt wurde und den Zirkelschluß verursacht : Da zehn
Tage übersprungen werden sollen, müßte besagtes Konzil
etwa 12,5 Jahrhunderte zurückliegen. So kann ein Zeitstrahl erstellt
werden, der nachträglich natürlich das richtige Ergebnis bringt.
Die Tatsache, daß in der Bulle keine Jahreszahl für Nizäa
genannt wurde, ist von der Kirche nie bestritten worden. Sie stellte nur
fest, daß sich der Frühlingspunkt gegenüber dem klassischen
Datum (21. März) um zehn Tage verschoben hatte, was mit der Reform
durch überspringen von zehn Tagen berichtigt wurde.
3. Zur Osterfestlegung:
Das zweite Anliegen der Bulle von 1582 war die Regelung des Ostertages
mit Hilfe der Epakten. Damit wird klar ausgedrückt, daß man
die Festlegung von Ostern nicht von Beobachtungen von Sonne und Mond abhängig
machen, sondern ein leicht benützbares Schema anwenden wollte, nach
dem alle Völker am selben Tag Ostern feiern sollen. Wenn Beobachtung
die Grundlage gewesen wäre, dann hätten die Christen in Japan
zuweilen einen anderen Ostertag als in Spanien usw. Außerdem würde
der Ostertag nicht lange genug im voraus festliegen. Nach dem jetzigen
System ist man also der Tradition getreu und hat einheitliche Festtage,
außerdem eine meistens korrekte astronomische Situation.
Dendl erwähnt auch: Erst mit der Ostertafel des Victorius (457) war
es geschafft, wenigstens einen Großteil der Osterfeste gleichzeitig
mit den Alexandrinern zu feiern (Ginzel 1914, S. 245 f.).
Victorius und Victorin werden öfters verwechselt: Victorinus (um
350) war Rhetoriklehrer von Hieronymus und trat im hohen Alter zum Christentum
über; ein anderer Victorin von Aquitanien soll 465 die Anno-Domini-Zählung
eingeführt haben, eine reine Erfindung (Topper 1999, S. 19 f). Man
kann das auch aus folgender Überlegung schließen: Wenn die
Osterregel seit "Victorius 457" (kirchengeschichtlich spätestens
seit Dionysius Exiguus 525 oder 532) feststand, dann können wir für
das ganze Mittelalter problemlos errechnen, an welchem Tag in jedem beliebigen
Jahr die Christen Ostern feierten: Man verschiebt den Frühlingspunkt
alle 129 Jahre um einen Tag (den Fehler des Julianischen Kalenders) und
berechnet den darauffolgenden Vollmondtag. Der nächste Sonntag wäre
dann Ostern gewesen. Wann es in diesem Zeitraum wirklich gefeiert wurde,
finden wir (generell) in keiner Chronik, obgleich dieser wichtigste christliche
Festtag doch angeblich in jedem Jahr (und "europaweit") begangen
wurde.
Victorius war Petrus Vittori, Humanist aus Florenz (1499-1584), an der
Osterregelung hat er mitgearbeitet. Victorius ist wichtig, weil er die
Passion Jesu auf 28 u.Ztr. festgelegt hat. Darin ist schon das Paket 297
enthalten, nämlich als Abstand gegenüber 325 für Nizäa.
4. Warum 297 Jahre?
In kirchlichen Schriften werden oft Jahrespakete verwendet, die einen
mystischen (zuweilen "kabbalistischen") Sinn erfüllen.
Ein solches Paket bilden die 297 Jahre, die als "Phantomzeitraum"
von Heribert Illig erkannt wurden. Die Zahl 297 ist das Produkt aus 3
mal 99, oder anders ausgedrückt: 3 mal 3 mal 3 mal 11, wobei die
3 als Inbegriff der christlichen Gottheit und die 11 als der größtmögliche
Abstand zwischen zwei jakobinischen Jahren bedeutsam ist. Ein jakobinisches
Jahr wird immer dann gefeiert, wenn die Wochentage wieder auf dasselbe
Datum fallen.
Wie wichtig die Einhaltung der Wochentagsreihenfolge den Komputisten war,
wurde uns erst an einem kleinen Fehler bewußt. Zunächst hatte
Illig für den Phantomzeitraum zwischen 614 und 911 nur 296 Jahre
angesetzt, die dann in 297 verbessert werden mußten, denn in diesem
Zeitraum liegen 74 Schalttage (nach der julianischen Kalenderregel). 297
mal 365 ergibt 108405, plus 74 (Schalttage) ergibt 108479 Tage, eine durch
7 teilbare Zahl, womit die Wochentagsfolge lückenlos erhalten blieb,
was bei 296 Jahren nicht der Fall gewesen wäre.
Nun muß man sich allerdings darüber im klaren sein, daß
man weder im Jahre 28 n.Chr. noch im Jahre 325 n.Chr. ein Datum mit AD
28 oder AD 325 schrieb, sondern, sofern überhaupt mit absoluten Zahlen,
nach der heidnischen alexandrinischen Jahreszählung datierte (wie
man im 19. Jh. annahm). Bei der Erstellung der christlichen Jahreszahlen
benützte man zunächst nicht den Abstand zu Jesu Geburt (oder
Passion), sondern ebenfalls eine heidnische Zählweise, die sogenannte
ERA (der "Westgoten"), die auf Cäsars Kalendereinführung
("45 v.Chr.") zurückging und (erst) ab ERA 500 durch Geiserich
in Gebrauch gekommen sein soll. In dieser Zählweise wurde das Jahr
1 der islamischen Zeitrechnung (1 Hegira) mit der Zahl des Antichrist
666 gleichgesetzt, weil man annahm oder glauben machen wollte, daß
das Auftreten des Propheten Mohammed dem Erscheinen des Antichrist gleichkomme.
Von ERA 666 ausgehend schuf man in Sprüngen von jeweils 297 Jahren
die Eckpunkte der neuen Ereignistafel: rückwärts kommt man so
auf ein Jahr 369 (man muß lesen: drei-sechs-neun, eine zahlenmystisch
bedeutsame Zahl) das man mit dem Zwanzigjahresfest Kaiser Konstantins
und damit der Geburt der katholischen Kirche als Staatsreligion (1. Ökumenisches
Konzil) belegte. Vorwärts erreichte man 963 (neun-sechs-drei), das
zum Gründungsdatum des Römischen Reiches deutscher Nation wurde.
Auch bei den nächsten beiden Schritten ist die Zahlenmystik noch
erkennbar: 369 minus 297 ergibt 72, eine ebenfalls höchst bedeutungsschwangere
Zahl (Septuaginta; verdoppelt als Zahl der Zeugen, die ja immer zu zweit
auftreten: 144; usw. siehe Topper 2003, S. 265 f): sie wurde zum Passionsjahr
Christi; und vorwärts 963 plus 297 ergibt 1260, die wichtigste apokalyptische
Zahl im Alten und Neuen Testament (die dreieinhalb Leidensjahre der Gläubigen
sind 42 Monate gleich 1260 Tage, siehe Topper 1993, S. 31, 163 u. ö.).
Bei der Umrechnung auf die AD-Zählung, deren Beginn auf 44 Jahre
nach Cäsars Kalenderreform angesetzt wurde (es gibt kein Nulljahr),
verloren die Daten weitgehend ihren Symbolwert: 666 minus 44 ergibt 622
(= 1 H), 369 minus 44 macht 325 ("Nizäa"), 963 minus 44
gleich 919 (Reichsgründung), 72 minus 44 ergibt 28 (Passion Christi
bei Victorius), wobei man 72 für das Ende des jüdischen Staates
(Fall der Festung Massada) beibehielt, und 1260 stehen ließ, da
es schon zu fest als Begriff eingeführt war (Prophezeiung des Joachim
von Fiore, siehe Topper 1999, S. 144).
Aus der Arbeit der kirchlichen Komputisten geht hervor,
1. daß die Kirche sich einen Zeitstrahl nach mystischen Richtlinien
schuf, nicht etwa mit tatsächlichen Abständen geschichtsbezogener
Ereignisse, und
2. daß diese Zahlenspiele, die in römisch geschriebenen Zahlen
nicht erkennbar, in griechischen Buchstaben nur bedingt nachvollziehbar
sind, erst in arabischen Ziffern mit dem uns heute geläufigen Stellenwert
ihren vollen Reiz entfalten, woraus sich ergibt, daß sie erst nach
Einführung dieser Ziffern (im 13. Jh., vermutlich später) erstellt
wurden.
5. Zur Kirchengeschichte:
Würde ich mich auf der von Dendl (und Ginzel etc.) benützten
Gedankenebene fortbewegen, müßte ich fragen : Wie wurde denn
der auch in den dreihundert Jahren vor Nizäa schon angelaufene Fehler
seit Cäsars Kalenderreform ausgebügelt, damit der Frühlingszeitpunkt
nicht wanderte? Er wanderte nämlich, wie aus folgendem Zitat nach
Dendl hervorgeht :
"Der Magister Conrad kannte schon im Jahr 1200 "die Abweichung
der Neumonde von 2-3 Tagen und schätzt die Verschiebung der Jahrpunkte
auf 10 Tage seit der Zeit Christi" (Ginzel 1914, S. 252)."
Über eine Kalenderregulierung vor dem Konzil von Nizäa ist aber
nie ein Wort verlautet. Man nahm sogar rückschließend an, daß
dann Cäsars Frühlingspunkt auf den 24. März gefallen sein
müßte, wogegen aber antike Zeugnisse sprechen (Topper 1999,
S. 69 f.): In der Renaissance meinte man, Kaiser Augustus sei an der Herbstgleiche
geboren, und diese hätte am 23. 9. gelegen. Entsprechend wäre
der 21. 3. als Frühlingsanfang anzusetzen.
Als abschließende Betrachtung erlaube ich mir, aus meinem Buch (Die
Große Aktion, 1998, S. 126) zu zitieren:
"Das Hauptproblem ist nämlich: Wann ist die Frühlings-Tagundnachtgleiche?
Nach den "sogenannten Akten des Konzils von Cäsarea (5/6.Jh.)"
war sie am 25. März, wogegen die Gemeinde von Alexandria am 22. März
festhielt. Dieser Tag war ja der letztmögliche von den Juden selbst
beobachtete Termin vor dem Beginn ihrer Vertreibung, danach war keine
Korrektur mehr möglich. Die Verlegung auf den (heidnischen) 25. März
sollte die Vormacht Roms sichern und eine Abgrenzung gegen das jüdische
Pessah bilden. Aber Beda (Venerabilis) erhebt nun ganz unabhängig
davon den 21. März zum Fixpunkt. Dies kann er im 8. Jahrhundert nicht
beobachtet haben...(der Frühlingsanfang hätte sechs Tage eher
gelegen). Der 21. März ist ein Rückgriff auf den echten Sonnenkalender
des Augustus, der zu Lebzeiten Jesu gültig war. Nur wenn man auf
diesen zurückgreift, geht der julianische Kalender im 15. Jahrhundert
falsch, was seit Nikolaus Kusanus und Regiomontanus immer wieder festgestellt
wurde. Als Papst Gregor (1582) endlich die astronomisch ermittelte Korrektur
vornahm, die jedoch nur 10 Tage betrug, berief er sich auf ein anderes
"großes Ereignis", das als Fixpunkt an die Stelle von
Jesu Lebensmoment treten mußte: Das Zwanzigjahrfest des "ersten
christlichen" Kaisers Konstantin 325, das man mit dem "ersten
weltweiten Konzil" (von Nizäa) ausschmückte."
Es handelt sich demnach um Spiegelfechterei innerhalb des autobiographischen
Romans, den sich die Kirche in der Renaissance schuf. Dabei ist der Gedanke
noch einmal hervorzuheben: daß mit der Neufestlegung des Frühlingsbeginns
(21. März) in bezug auf einen "historisch" verankerten
Zeitpunkt (Nizäa) der von der Kirche postulierte Zeitabstand abgesichert
wurde.
Die von Dendl angeführte Berechnung Ginzels für die Frühlingsgleiche
enthält nur eine mathematische Rückberechnung. An welchem Tag
der Frühlingspunkt im Jahre 325 u.Ztr. tatsächlich begangen
wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Ermitteln läßt sich
mathematisch-astronomisch nur, daß er vor (von heute aus) 1678 Jahren
am 21. März (julianisch) eingetreten wäre. Das gilt übrigens
nur, wenn sich das Sonnensystem und die Erde seit jenem Zeitraum unverändert
wie heute bewegt hätten, eine Annahme, die von den Astronomen der
Renaissance bezweifelt wurde und auch von einigen modernen Wissenschaftlern
in Frage gestellt wird. Aber selbst wenn die Annahme stimmen würde,
wäre Ginzels Berechnung für unsere Chronologie bedeutungslos.
Folgerung:
Die Überlegungen von Dendl bewegen sich in der von der kirchlichen
Aktion verursachten Geschichtserfindung, innerhalb der natürlich
die meisten Fixpunkte untereinander schlüssig sind. Zur chronologischen
Festlegung historischer Ereignisse könnte nur der Weg über außerhalb
gewonnene Forschungsergebnisse, vor allem archäologische, Klarheit
bringen, wenn diese unvoreingenommen, d.h. ohne die literarisch festgelegte
Geschichtsvision, ausgewertet werden könnten. Dazu sind naturwissenschaftliche
Methoden der Altersbestimmung nötig, die allerdings erst entwickelt
werden müssen. In meinem Buch "Erfundene Geschichte" (1999,
S. 43-45) habe ich mitgeteilt, wie Naturwissenschaftler unbewußt
auf den Dreihundertjahressprung hinweisen, ohne das Problem zu benennen.
Dies sind jedoch nur indirekte Fingerzeige. Inwieweit etwa die Radiokarbonmethode
oder die Dendrochronologie versagt haben, möchte man bei Blöss/Niemitz
nachlesen.
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