Die Computisten, so nannte man die Mönche, die mit der Berechnung
der Heilsgeschichte beschäftigt waren, schufen schematische Zeittafeln,
in denen Jahrespakete auftraten, die einen tieferen symbolträchtigen
Sinn hatten. Ihre Zeitrechnung nannten Sie ERA (d.h. Jahr). Ihr Schema
sah etwa so aus:
ERA 666 wird als Mittelpunkt des Zeitstrahls genommen (wegen Offb. Joh.
13, 18). Man muß das sechs-sechs-sechs lesen, dazu gehören
369 (drei-sechs-neun) und 963 (neun-sechs-drei) als symmetrische Zahlen,
die komputistisch gesehen gleichwertig in zweiter Ebene liegen. Der Abstand
dazwischen beträgt jeweils 297 Jahre, eine magische Zahl; sie ist
das Produkt aus der wichtigen Primzahl 11 und der Drei hoch drei (= 27)
als Ausdruck der Trinität.
Geht man um denselben Abstand (297) von 369 weiter zurück, erhält
man 72, und vorwärts von 963 erhält man 1260. Dies wäre
eine dritte Ebene, wiederum symbolisch gesehen gleichwertig.
Diese Zahlen als "Jahreszahlen" aufzufassen, muß uns unsinnig
erscheinen; den Computisten war es sinnvoll. 666 wurde zum Auftreten des
Antichristen, 369 zum Beginn der Kirche, 963 zum Beginn des Reiches gewählt.
72 war die Tempelzerstörung, später die Passion des Heilandes,
der sich selbst als den Tempel bezeichnete, der zerstört und in drei
Tagen wieder errichtet wird. Und 1260 wäre dann die endgültige
Zerstörung, das Jüngste Gericht zu erwarten, wie in der Offenbarung
festgelegt. Diese letzte Zahl lag für die Computisten in der Zukunft.
Später schuf die Katholische Kirche eine neue Art der Zeitrechnung,
die Inkarnationszählung, von Christi Geburt an zählend wie sie
bis heute üblich ist, Anno Domini (AD) genannt. Der ursprüngliche
Beginn der ERA-Zeitrechnung muß dabei mit der zeitlichen Festlegung
der Julianischen Kalenderreform gekoppelt worden sein, d.h. er wurde nach
heutigen Vorstellungen auf 44 v.Chr. angesetzt. Alle ERA-Daten mußten
umgerechnet werden: 666 ERA minus 44 ergibt 622 AD, das ist das jetzige
Datum für die Hedschra (Beginn des Islam, Epoche des Antichristen)
in unseren Schulbüchern. Entsprechend gelangte das Erste Weltweite
Konzil (Beginn der Kirche) von 369 ERA zur Zahl 325 AD (Konzil von Nizäa),
und die Reichsgründung von 963 ERA auf 919 AD (erster Reichstag).
Auch das Jahr 72 ERA erhielt einen neuen Zahlenwert, es wurde zu 28 AD,
dem Todesdatum Christi bei Victorin. Nur 1260, da in der Zukunft liegend,
blieb bestehen, man schraubte es sogar nach dem Ausbleiben des Gerichtes
noch zweimal höher, zuerst auf 1290, dann auf 1335 (Daniel 12, 11
u. 12).
Eine andere Umrechnungsweise brachte die 38 Jahre zwischen der gotischen
Era und der katholischen Anno-Domini-Zählung ins Spiel: 963 ERA ist
von 1001 AD um 38 Jahre entfernt; dabei verschob sich Christi Geburt von
UC 753 auf 759 (und damit auf 7 v.Chr.).
Durch das Paket von 297 Jahren entstand eine erkennbare Fehlerquelle,
sie ergibt die so häufig um drei Jahrhunderte verschobenen Geschichtsdaten.
Auf anderem Wege ist der Zeitrekonstrukteur Heribert Illig zu einem Ergebnis
gekommen, das die 297 Jahre als einmaligen Einschub bezeichnet, leider
ohne eine Erklärung zu geben, wie er dieses Jahrespaket gefunden
hat. Sein Ausdruck "nach meinem derzeitigen Wissensstand" (1994,
S. 20; dito 1996, S. 18) klingt mystisch. Es gibt ja eine ganze Reihe
von verschiedenen Wegen, auf christlicher wie auch islamischer Berechnungsgrundlage,
die diesen Sprung deutlich machen (siehe Topper 1999).
Die Festlegung des Anfangs des Deutschen Reiches auf 911 AD und der beiden
Schlachten gegen die "Ungarn" 933 und 955 folgt diesem Muster
symbolischer Zahlen - hier vor allem der heiligen 11 - wie auch die Festlegung
Otto III auf 999-1001 rein symbolischen Charakter trägt: Alle "besseren"
christlichen Staaten wurden (rückwärts betrachtet) ausgerechnet
ums Jahr 1000 christianisiert, von Island bis Ungarn. Man hat im 15. Jh.
das Jahr 1000 AD zu einem Markstein der abendländischen Geschichte
erhoben. So wurde auch die Kaiserkrönung von Karl d.Gr. auf eine
zentrale Stelle gelegt, auf 800 oder 801. (Über diese Vorgänge
schrieb auch Landes 1988).
Auf demselben Zeitstrahl hat man die Eroberung Jerusalems durch die Perser
- ein historiographischer Topos, der in der Bibel rückprojiziert
für Sanherib usw. einging - auf 614 festgelegt. Illigs Gedanke, daß
die beiden Ereignisse (Gründung des Deutschen Reiches und "Verlust"
von Jerusalem) tatsächlich zeitgleich gewesen sein müßten
(614=911), ist willkürlich, sie paßt zum allgemeinen Muster
der Chronologieschöpfung, mehr nicht.
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