Wer hat eigentlich die Germanen erfunden? Teil 2
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Berlin · 1996 ff  Uwe Topper topper

Wer hat eigentlich die Germanen erfunden? Teil 2


Rückblick auf ein altes Streitthema anläßlich einer Neuerscheinung

Vorspann:
Es wurde der Versuch unternommen, mich als linksextremen Schriftsteller und Propagandist linker Ideen zu verunglimpfen. Das war nicht schwierig, denn meine anarchistische Einstellung und einige meiner Thesen gaben Anlaß dazu. Dabei ist nicht sicher, ob mir die Anschuldigung nicht auch Sympathisanten einbringt, (anders als die Verunglimpfung als Nazi und Rechtsradikaler, die immer einhellige Verurteilung auslöst).
Festgemacht wurde die Beschimpfung als Linker an meiner These, die Germanen seien ein erfundener Begriff, der sich nicht real nachweisen lasse. Ich hatte auch gezeigt, wie diese Erfindung entstanden war und Form gewonnen hatte. Die Reaktion war emotional und aufgeheizt.

Erstaunt bin ich dennoch, daß nach meinem ersten Vorstoß im Mai 1996 mit einem Vortrag in Hamburg im Kreis der "Zeitenspringer" um Heribert Illig und Gunnar Heinsohn, gedruckt dann auch in deren Vierteljahresheft Zeitensprünge (2/1996, S. 169-185): "Wer hat eigentlich die Germanen erfunden?" und dem daraus entbrannten Streit ein so großes Thema geworden ist, daß bis heute die Federn nicht ruhen.
Gleich beim Vortrag gab es Einspruch heftigster Art, auch schriftlich festgehalten im Zeitensprünge-Heft 4/96 (S. 429-435) durch Alexander Jurisch: "Die Germania und die Germanen, oder gegen den grundlosen Kahlschlag in der Geschichte". Jurisch hat recht, wenn er sagt, "daß der Befund einer gefälschten Germania nicht zwingend auf die Nichtexistenz der darin Behandelten schließen läßt." Aber bei meiner Analyse ging es um die Erfindung des Begriffs Germanen, nicht deren heute allgemein postulierte Existenz.
Meine "Antwort auf die Kritik von Jurisch" begann so: "Mein auf dem Hamburger Treffen im Mai 1996 gehaltener "Germanen-Vortrag" hat viel mehr Beachtung gefunden, als dies sonst bei Toppers Aufsätzen oder Vorträgen der Fall war, aber gerade da, wo man etwas hellhörig hätte werden sollen, herrscht weiterhin platteste Tacitusgläubigkeit vor. Die Wochenzeitschrift "DER SPIEGEL" (Nr.44, 28. Okt. 1996) brachte Titelbild und zwölfseitige Story mit den neuesten Erkenntnissen über "Die Germanen - unsere barbarischen Vorfahren", ohne den geringsten Hinweis darauf, daß man die lateinischen Texte eigentlich erst einmal auf ihre Entstehungszeit und -absicht prüfen müßte, bevor man sie als Beweis zitiert für die im taciteischen Geist rekonstruierten archäologischen Funde.
Und andererseits Aufschrei und Gegenattacken, aus denen ich erkennen kann, daß hier ein heiliges Gefühl verletzt wurde, ... "
Und noch ein paar Schlaglichter aus diesem Gegenartikel: Die Erfindung der "Germanen" durch Papst Pius II hatte einen aktuellen Zweck: "Es ging um die historiographische Schaffung eines "germanischen" Raumes und Volkes zwischen Rhein und Don, denn eine andersgeartete - damals durchaus befürchtete - Schöpfung hätte vom Atlantik bis Prag reichen können und das fränkische Zwischengebiet, die Wiege der katholischen Kirche und ihre stärkste Bastion, einfach erdrückt." (Franken sind bekanntlich Germanen). Und: "Volk steht nicht am Anfang einer Bewegung sondern als deren Ergebnis." Usw., man lese den ganzen Artikel (im Archiv)
Im Buch "Die Große Aktion" (1998) habe ich mich dann in dem Unterkapitel Tacitus (S. 45-52) bedingtermaßen knapper gefaßt, aber so sachlich wie möglich das auch war, einer der Verlagsherren sprach sich wegen dieser These gegen das Buch aus. Nur weil Grabert eben ein weitgefächerter Verlag ist, kam es dann doch noch heraus.
So sind in der Folge meines Vortrags nicht nur überflüssige Artikel (wie der im SPIEGEL) entstanden, sondern eine ganze Reihe von Büchern, auch im Grabert-Verlag. Und nun die oben genannte Neuerscheinung, wo ich (indirekt) in die Reihe der Kulturmarxisten gestellt werde.
Darum noch einmal ganz knapp: Der Unterschied zwischen dem heutigen Begriff Germanen (politisch-soziologisch) und einer Untersuchung der Entstehungsweise des Begriffs (literarkritisch) ist verwischt, ja einigen Streitern offensichtlich unklar. Daß irgendwer irgendwann einmal ein Wort erst prägen muß, bevor es in aller Munde gelangt, ist zwar selbstverständlich. Aber wer in der Vergangenheit ein Volk "Germanen" nannte (von Hunderten von Begriffen oder Stammesnamen, die zur Verfügung standen), muß erst herausgefunden werden. Wie Poggio und Papst Pius und Ulrich von Hutten diesen Begriff einführten, ist spannend. Man sollte es bei Topper nachlesen, auch wenn ich nicht der erste war (Vorarbeit leisteten Baldauf und Kammeier) und nicht alles gleich richtig erkannte. Insgesamt ist es noch richtig.

Übrigens, im Mai 2013 brachte DER SPIEGEL einen weiteren Aufsatz zum Thema: Diesmal ist es Cäsar gewesen, der die Germanen erfand. Nicht schlecht, aber ob Tacitus von Cäsar abschrieb oder umgekehrt, oder beide aus derselben Quelle schöpften, ist schwer auszumachen.

Literatur:
Jurisch, Alexander (1996): "Die Germania und die Germanen oder gegen grundlosen Kahlschlag in der Geschichte" (in ZS 4/96, S. 429--435)-  http://www.xn--zeitensprnge-llb.de/wp-content/uploads/zs.1996.4.pdf
Topper, Uwe (1997): "Germanische Überlebensstrategien: Antwort auf die Kritik von Alexander Jurisch" in ZS 2/97 (hier im Archiv)

Aus der Werbung:
"Gab es Germanen? Eine Spurensuche. 208 S., geb. (Antaios Verlag)
Autor: Andreas Vonderach, Jahrgang 1964, studierte Geschichte, Anthropologie, Geographie sowie Politikwissenschaft und ist regelmäßiger Autor der Sezession. Letzte Buchveröffentlichungen: Anthropologie Europas. Völker, Typen und Gene vom Neandertaler bis zur Gegenwart (2008), Die deutschen Regionalcharaktere. Psychologie und Geschichte (2012).
Zum neuen Buch: Die Methode der Dekonstruktion macht auch vor Völkern nicht halt: Nichts sei substantiell vorhanden, als Einheit bereits gegeben – auch die Germanen nicht. »Die Germanen haben in Wirklichkeit nie existiert. Sie sind ein Mythos«, so die Quintessenz 'progressiver' sprich kulturmarxistisch motivierter Forschung.
Stimmt das? Oder gab es die Germanen doch? Der Anthropologe Andreas Vonderach hat sich auf Spurensuche begeben. Sein Ergebnis ist eindeutig: Es gab uns doch!
Vonderach kann einige Gedankenkonstrukte indoktrinierter Historiker entkräften."
Soweit die Buchwerbung.
Nun, indoktriniert sind wir alle von der Schulzeit an, aber kulturmarxistisch ?
Ich mußte erstmal nachschlagen, was damit gemeint sein könnte. Es handelt sich um ein amerikanisches politisches Schlagwort, das die linke Szene treffen soll und abfällig benützt wird. Die 'Frankfurter Schule' wird dabei genannt.
"Germanen" ist eben ein gefühlsbetonter Begriff erster Güte, wie schon die Aussage "Es gab uns doch!" erkennen läßt.

Mit anderen alten Texten gehe ich nicht pietätvoller um. Zur heiligen Schrift der modernen Germanenheiden habe ich eine entsprechend kühle Einstellung: Die Edda ist eine späte, schöne, literarische Schöpfung unter Verwendung von norwegisch-isländischen Überlieferungen als Reaktion auf die Christianisierung Nordeuropas. Es ging um die Bewahrung des Erbes der Vorfahren und um Mission (Gegenreformation) für den alten Glauben. Ohne eine Renaissance der Antike, also der Wiederherstellung griechisch-lateinischer Literatur des Heidentums, hätte es keine Edda gegeben als Rückbesinnung auf eine ererbte Erlebniswelt, einen tief eingewurzelten Glauben. Der Zeitpunkt – 17. Jh. – war der spätest mögliche, um eine Akzeptanz zu erwirken. Die Vorverlegung des Textes ins 13. oder 12. Jh. gehört zu den chronologischen Verschiebungen, die so viele Texte damals durchmachten. Inzwischen möchte man sie noch älter auffassen, sieht aber auch die "südgermanischen" (deutschen) Anteile, und, nicht ganz zu verschweigen, den christlichen Rahmen.

Zum Saxo Grammaticus äußere ich mich (1998, S. 174) vernichtend: "Quatsch".
Hinsichtlich der Edda urteile ich im selben Kontext (S. 176) höflicher. Etwa so wie Ossian (1760) und Igors Heerfahrt (1795) als Bewahrung oder Wiederbelebung alten Glaubensgutes als halbecht gelten können, so auch die Edda, die 1643/1662 auftauchte (Codex regius).
"Nicht gerettet ist die Wulfilas-Bibel und nicht der Tacitus ..." (S. 177)
1573 / 1669 wird die Gotenbibel des Wulfila gefunden (Codex argenteus) und ins 4. Jh. datiert. Daß die Handschrift mit ihren Silberbuchstaben technisch erst aus dem 17. Jh. stammen kann, wußte ich seinerzeit noch nicht. Bestätigt fühle ich mich seitdem allemal.

Man lese das nach bei Christoph Pfister auf seiner Website "dillum":
Die Gold- und Silberschriften jener "karolingischen" Handschriften verlangten als chemische Bestandteile Gold- und Silbernitrat-Lösungen. Diese aber hat ein Böhme namens Johannes Glauber im 17. Jahrhundert erfunden. Aber Historiker und Philologen sind bekanntlich "Geisteswissenschafter", die sich einen feuchten ... Kehrricht um solche technischen Problemchen kümmern.

Dazu auch Eugen Gabowitsch im Forum GESCHICHTE und CHRONOLOGIE

Die Gotenbibel als Fälschung, 11. Sept. 2003 16:09

Die berühmte Wulfila-Bibel wurde im Jahre 1665 entdeckt. Worum nicht viel früher? Weil früher noch keine Tinte für die silberne Schrift existierte, welche bekanntlich bei dieser Bibel verwendet wurde. Die entsprechende Tinte wurde vom berühmten deutschen Chemiker, einem der Gründer der chemischen Industrie, Johann Rudolf Glauber (1604-1670), nach 1648 entdeckt. Chemisch verhält sich Silber verhältnismäßig resistent. Nicht jede Säure führt zur Bildung von Silbersalz. Und wasserlöslich ist Silber nicht, nur seine gewissen Salze.
Am besten ist für die Erstellung der silbernen Tinte Silbernitrat AgNO3 geeignet. Aber die Herstellung des Silbernitrats ist nicht ganz einfach: man braucht gewisse katalytische Beimischungen, um aus Silber und der Salpetersäure dieses Salz zu erzeugen. Silbernitrat ist im Wasser leicht auflösbar und bildet nach der Trocknung der Tinte Kristalle, die unsichtbar sind. Darum müssen so beschriebene Seiten noch chemisch oder physikalisch bearbeitet werden, um Silber vom Sauerstoff und Stickstoff zu trennen. Dazu reicht eine Erwärmung bis zu 300 Grad C, die aber bei einem Buch kaum anwendbar ist. Darum bearbeitet man jede Seite mit einer speziellen Flüssigkeit...
Auch wenn Glauber diese ganze Technologie bald nach 1650 beherrschte, brauchte man noch Zeit, um einen Schreiber auszubilden und um die Bibel zu schreiben. So erscheint das Jahr 1665 an der richtigen Stelle...

Übrigens hat Uwe Topper schon ohne Kenntnis der Geschichte der Chemie (diese hat Jaroslav Kesler, ein bekannter russischer Chemiker, in die Argumentationskiste der Chronologiekritiker eingebracht) die Wulfilas-Bibel als eine Fälschung entlarvt. Ich zitiere nach Topper, Die Große Aktion 1998, Kap. 8 (vermutlich die russische Version meines Buches):

"Wulfilas-Bibel

Als Einwand gegen die späte Abfassung des Bibeltextes wird auch die Wulfilas-Bibel angeführt. Sie soll ja schon im 4. Jh. bei den Goten benützt worden sein. Nach neuesten Erkenntnissen ist dies nicht mehr aufrechtzuerhalten. Sie wurde wahrscheinlich gegen Ende des 30-jährigen Krieges im Auftrage der Kirche erfunden und zwar mit Hilfe einer fast verschollenen Sprache, des Krimgotischen, das gerade kurz vorher von einem französischen Sprachforscher auf seiner Reise zur Krim entdeckt und dokumentiert worden war. Die Kirche unternahm im 19. Jh. noch einige schwache Versuche, den sogenannten Silbernen Kodex, der heute in Upsala aufbewahrt wird, als Original zu beweisen, aber wer die Fälschungsaktion kennt, der erkennt sogleich die typischen Schritte, die dabei unternommen wurden, und kann sie entkräften.
Der Grund für diese raffinierte Fälschung ist wiederum die Notwendigkeit, vor der die katholische Kirche steht, ein Christentum im 4. Jh. zu beweisen, und sei es auch ein exotisches und arianisches. Die Schöpfung der Wulfilas-Bibel ist einfach genial. Niemand käme auf die Idee, daß die Kirche sich selbst ihre Ketzer schafft, und erst recht würde kein germanophiler Skandinavier sich den Vorteil so frühen gotischen Christentums unter dem Hintern wegziehen. Damit ist das hohe Alter der Kirche schon bewiesen. Die besten Akademiker, selbst Atheisten, bestehen darauf."

Ein neuerer Text zum Thema : meine Beprechung des Buches von Peter Hutter, „Germanische Stammväter und römisch-deutsches Kaisertum“ (OLMS 2000) hier im Lesesaal (2011)

Nachtrag: Vor hundert Jahren hat ein russisch-deutsch-amerikanischer Philologe die niederschmetternde Tatsache der gefälschten Germania, der Getika des Prokop und der Wulfilas-Gestalt sowie einer weiteren Vielzahl erfundener Autoren aufgedeckt: Leo Wiener, dessen Buch ich hier kurz bekanntmache

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