Die Blumentopflöcher von Göbekli Tepe (Türkei)
Diese angeblich älteste stadtähnliche Siedlung der Menschheit (10. Jt. v. Ztr.) mit ihren Reliefs und Mauerwällen befand sich im „Bauch-Hügel“ (Göbekli Tepe), sie wurde unter Leitung von Klaus Schmidt vom Deutschen Archäologischen Institut im vergangenen Jahrzehnt ausgegraben. Im Jahr 2000 besichtigten wir die Ausgrabung außerhalb der Grabungszeit, konnten daher die berühmten Reliefs nicht sehen, weil sie gut verpackt sind.
Auf dem ganzen Gelände liegen dicht an dicht bräunliche Feuersteinklingen aller Arten und Qualitäten, von zerbrochenen Spitzen und Messern bis zu guten Schabern und Klingen ("mesolithisch") und natürlich jede Art von Knollen, von denen die Klingen abgesprengt sind. Hier war also eine Werkstatt unter freiem Himmel. Aber Obsidian fanden wir nicht.
Keramikscherben, die wir auflasen, gehören in eine viel jüngere Kulturstufe (die ursprüngliche Siedlung soll akeramisch sein), sie sind eher den Seldschuken zuzuordnen. Viele Reibsteine aus Basalt (der nahebei vorkommt) dienten zum Mahlen des Getreides, wie bei einigen armen kurdischen Familien noch heute üblich. Neben dem Siedlungsgelände gibt es auch einige Zisternen oder Kammern im Fels (Silos, Getreidespeicher) in Bienenkorbform, recht groß, eine davon mit exzentrisch angeordnetem Säulenstumpf am Boden. Ob dieser zum leichteren Säubern stehengelassen wurde, als man den Fels aushöhlte?
Und dann bekamen wir eine Überraschung zu sehen: Direkt vor der Siedlung, auf den Kalkflächen neben den Silos, sieht man eine Unzahl von blumentopfgroßen Löchern im Fels, die offensichtlich von Menschen gebohrt wurden. Ihre Anordnung ist weder planmäßig noch rhythmisch, aber dennoch nicht völlig wahllos. Einige sind durch Rinnen verbunden, aber vielleicht täuscht dieser Eindruck. Ich möchte die Löcher als Mörser bezeichnen, aber manches spricht dagegen: Sie sind alle gleichgroß, haben einen kleinen Rand an der Oberkante (wie zum Verschließen) und wurden vermutlich nur wenig benützt, da sie alle gut erhalten sind. (Mörser wären durch häufigen Gebrauch "ausgeleiert" und unterschiedlich groß).
Wenn man etwas Archaisches nicht versteht, dann muß es religiösen Ursprungs sein, lautet ein alter Merkspruch der Archäologen. Also liegt ein Ritus zugrunde? Die Ähnlichkeit dieser Löcher mit den allbekannten Schälchen (Cupuli) ist auffällig, nur Größe und Gestalt sind ganz anders. Ob hier ein entsprechender Fruchtbarkeitsritus ausgeführt wurde? Dann wäre dies hier eine Vorform der Schalen oder eine dekadente Sonderentwicklung? Die Gleichförmigkeit, der kleine Rand (für Deckel?) und die enorm große Anzahl sprechen dafür.
Ich frage einen jungen kurdischen Mann nach dem Sinn der Topflöcher, und er antwortet: Es sind die Hufabdrucke großer Tiere (hayvan). Damals war der Fels natürlich weich. -
Nun gut, das ist eine Standardvorstellung der einfachen Menschen, die man oft in diesem Zusammenhang hört. Bei echten Saurierspuren trifft sie ja auch zu. Aber hier kann das nicht stimmen, denn die Löcher sind eindeutig von Menschen gebohrt, wobei uns der Sinn der Herstellung der Löcher und ihre Benützung völlig schleierhaft ist. Ich habe weder in anderen Gegenden derartige Löcher gesehen noch eine vernünftige Erklärung gehört. Wir kennen nicht einmal den kulturellen Umkreis, der zu diesen seltsamen Zeugen gehört, geschweige denn ihr Alter.
Es könnte sein, daß sie zur rituellen Feuerentzündung angelegt wurden, also nur jeweils einmal benützt wurden, wie Prof. Dr. Wolfram Zarnack dazu beim Gespräch in Berlin vorschlug: Die Drachen, die im Volksmund häufig als Urheber angegeben werden, haben ihren Namen von "Drehen" und sind ja direkt mit dem Kult des Feuerbohrens verbunden. Der obere kleine Rand könnte Verwitterungserscheinung sein. Aber vielleicht entsteht er auch unbeabsichtigt durch den Bohrvorgang, wenn nämlich das Bohrholz durch Abnützung beim Drehen dünner wird?
Die Anlage so vieler Löcher nebeneinander macht die Erklärung „Feuerborhungen“ plausibel, dagegen steht jedoch die Überlegung, daß eine individuelle Bohrung keineswegs so genormte gleichgroße Löcher entstehen läßt. Auch wenn wir uns in die Seele der „damaligen“ Menschen hineinversetzen, gelingt es uns doch häufig nicht, die Motive für ihr Handeln zu verstehen. Und die handwerklichen Fähigkeiten sind uns oft unbekannt.
(Auf den Fotos sieht man außer den vielen Bohrlöchern eine größere Öffnung, die wohl ein Speicher für Getreide oder Wasser war).
Uwe Topper, Berlin 2000 Querschnitt