In
diesem hochinteressanten und sehr eigenwilligen zweiten Band der neuen
englischen Buchreihe von Fomenko befindet sich als Annex 3 (S. 425-444)
ein Beitrag der Eltern von Anatoly T. Fomenko, Timofei G. und Valentina
P. Fomenko, die von 1974 bis 1981 in Moskau ein Forschungsprojekt durchführten,
das erstaunliche Ergebnisse gebracht hat, deren Anwendung für unsere
chronologiekritische Analyse in hohem Grade nützlich sein könnte.
Nach einer gekürzten Veröffentlichung 1983 im Institut für
sowjetische Geschichte an der Akademie der UdSSR wurde die Gesamtarbeit
1996 herausgegeben.
Es geht um die Erkennung der Autorschaft eines beliebigen Textes, der
genügend Einzelelemente (Worte, Sätze) enthält, die seine
individuellen Eigenschaften untersuchbar machen. Wenn von einem Autor
ein größeres Werk oder mehrere Werke gleicher Gattung vorliegen,
müßte es ein leichtes sein, die häufig wiederkehrenden
Begriffe, Wendungen und Eigenarten im Stil statistisch zu erfassen und
an Hand dieser Merkmale ein weiteres Werk desselben Autors, dessen Urheberschaft
unbekannt ist oder absichtlich verschwiegen wird, zu erkennen. Die Nutzanwendung
der Methode bezog sich zunächst nur auf bekannte russische Literatur
der letzten drei Jahrhunderte, wurde dann aber auf das umstrittene Werk
"Der Stille Don" ausgedehnt, wobei eine erstaunliche Lösung
herauskam. Die Nutzanwendung für uns heute sehe ich darin, daß
man mit Hilfe dieser Methode einen angeblich antiken Autor mit einem bekannten
Renaissance-Schriftsteller identifizieren könnte, wenn das Verfahren
eindeutig ist und eine entsprechend große auswertbare Datenmenge
vorliegt.
Nun ist es ja ein bekannter Trick, daß ein Autor, der seine Person
verstecken will, in einem Werk, das er zusätzlich zu seinen schon
bekannten Schriften herausgeben möchte, seinen Stil verändert,
gewisse bekannte Reizwörter vermeidet, eigentümliche Wendungen
abändert usw. - das kann einen Neugierigen durchaus täuschen.
Es gibt aber Sprachelemente, die nicht nur ein sehr intelligenter Pseudonymbenützer
übersieht, sondern die auch fast unmöglich bewußt geändert
werden können, nämlich kleine Wörtchen wie Präpositionen,
Bindewörter, Umstandswörter usw. Auf dieser Erkenntnis, die
sich aus den jahrelangen Untersuchungen des Ehepaars Fomenko herausfilterten,
beruht die Methode, die die Fomenkos erfolgreich auf ein umstrittenes
Literaturwerk, den "Stillen Don", anwandten. Als Autor dieses Werkes trat der bekannte Dichter Michail Scholochow auf (der 1965 den Literaturnobelpreis dafür erhielt),
aber es wurde auch ebenso lange Zeit heftig angezweifelt, daß der Roman
von Scholochow stamme. Aus der vorgelegten mathematischen Analyse der
Werke von Scholochow im Vergleich zum Prosatext "Der stille Don"
können Fomenkos mit Sicherheit schließen, daß dieser
von einem anderen Dichter geschrieben sein muß.
Schauen wir uns die Methode an.
Als Vorläufer der Arbeitsweise nennen die beiden Autoren zunächst
W. Fuchs (London 1955 und Stuttgart 1968), der Silbenzahl und Satzlänge
als eigentümliche Werte eines Textes in Betracht zog. Demgegenüber
hatte schon A. A. Markov 1916 festgestellt, daß natürlicherweise
viele der untersuchten Worthäufigkeiten und Verwendungsarten "sich
um einen gemeinsamen Wert herum gruppieren müssen aus sprachimmanenten
Regeln", was die zweifelsfreie Zuordnung der Autorschaft erschwert.
Fomenkos fordern daher, daß als unzweifelhafte Eigenschaften einerseits
solche zählen müssen, die einen Autor oder einer kleinen Gruppe
gleicher Autoren gemeinsam sind, und daß sie andererseits bei anderen
Autoren nicht in gleicher Weise wiederkehren dürfen. Als unbrauchbar
scheiden sofort alle jene Wörter und Satzbildungen aus, die ein Dichter
bewußt wählt, um seinem Stil eine besondere Note zu verleihen.
Nur unbewußte Charakteristika kommen für die Beurteilung in
Betracht. Für die Untersuchung müssen zwecks Abgrenzung außerdem
eine große Anzahl von Werken verschiedener Autoren oder Gruppen
zur Verfügung stehen.
Eine völlige Auswertung aller literarischen Texte, die in Frage kommen,
war seinerzeit eine arbeitsmäßige Unmöglichkeit, deshalb
mußte ferner noch eine statistisch verwertbare Methode der Beispiel-Auswahl
angewandt werden, die möglichst gleichbleibend durchführbar
sei. Mit den damals noch nicht so weit entwickelten technischen Fähigkeiten
computergestützter Analysen ist diese Vorsichtsmaßnahme verständlich,
dürfte aber heute eine weit geringere Rolle spielen. Natürlich
stehen einem Autor heute, wenn er sich "verstecken" will, dieselben
Computerdienste zur Verfügung, weshalb sich wie immer mit dem technischen
Fortschritt auch die Notausgänge und Schlupflöcher in gleichem
Maße vervielfältigen, wie man glaubt, sie einschränken
zu können. Da ich nur im Sinn habe, die Methode für unsere geschichtliche
Analyse, besonders bezüglich der Renaissance-Autoren, anwendbar zu
machen, ist diese Überlegung für uns allerdings belanglos.
Die Fomenkos wandten ihre Untersuchung zwecks Nutzbarmachung der Methode
für einen erstaunlich weiten Bereich von russischen Literaturwerken
an, beginnend im 18. Jh. mit sechs Autoren (von Tschulkow bis Krylow),
im 19. Jh. mit neun Dichtern von Gogol bis Tolstoi und im 20. Jh. mit
weiteren acht von Gorky bis Scholochow. Eine der wichtigen Erkenntnisse
war, daß ab einer ausreichenden Menge von Wörtern, hier 16.000,
eine signifikante Häufigkeit ihrer Verwendung als Kurve erkennbar
gemacht werden konnte. Aus einer Liste von neun untersuchten Eigenheiten
ergab sich schließlich, daß nur eine Gruppe tatsächlich
als Invariante nutzbar zu machen war, während die anderen höchstens
in ihrer Kombination gewisse Aussagen zuließen. Diese Invariante
betrifft die "kleinen" Wörtchen, besonders die Häufigkeit
der im Russischen sehr wichtigen "in" und "nicht".
Tatsächlich zeigen die beiden Autoren mit mathematischer Sicherheit,
daß Scholochow nicht den "Stillen Don" geschrieben haben
kann, und auch, daß es möglicherweise sein Zeitgenosse Fjodor
D. Krjukow gewesen sein könnte, der damals in Rußland noch
weitgehend unbekannt war und von dem nicht ausreichend Textmaterial zwecks
Analyse zur Verfügung stand. Sie stützen damit den seit Solschenizyns Veröffentlichung eines anonymen Werkes 1974 in Paris ausgesprochenen Verdacht, daß Krjukow den „Stillen Don“ geschrieben habe, was weiter durch ein gefilmtes Interview mit Scholochow 1975 erhärtet wurde (erläutert in Corino (Hrg.) „Gefälscht!“ (Eichborn 1990), in einem Beitrag von Christa Grewe-Volpp).
Wer sich für die mathematische Seite der Untersuchung interessiert,
sollte diesen Beitrag in Fomenkos Buch unbedingt lesen. Die beigegebenen
Tafeln und Kurven sprechen für sich. Ich möchte nämlich
anregen, daß sich im Laufe der Zeit - mit dem Vorhandensein einer
großen Zahl elektronisch erfaßter und zugänglich gemachter
Texte der Renaissance - junge technisch begabte Geschichtsanalytiker in
dieser Weise an der Arbeit beteiligen und so die Verbindungslinien zwischen
den "Herausgebern" der antiken Werke und den tatsächlichen
Autoren aufzeigen.
Unsere
bisherige Betrachtungsweise der Renaissance-Werke war weitgehend künstlerisch
bestimmt, vertraute also auf ein gewisses Empfinden für Stil und
geistige Voraussetzung einer Person, was nur ansatzweise Ergebnisse erzielen
konnte, während eine mathematisch-naturwissenschaftliche Untersuchung
eine weit größere Zahl von Menschen von der Richtigkeit unserer
Vermutungen überzeugen könnte.
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