Nun ist es endlich
allen zugänglich, das Gesamtwerk Wilhelm Kammeiers! Der erste Band
"Die Fälschung der deutschen Geschichte" erschien im Verlag
für ganzheitliche Forschung von Roland Bohlinger (früher Husum,
dann Wobbenbüll, heute Viöl) seit 1979 und ist seit Mai 2000
in der 11. Auflage mit ausführlichen Nachworten von Roland Bohlinger
und Wolfram Zarnack zu haben (siehe meine Besprechung in Synesis Nr. 4/2000,
S. 9-11); der dritte Band "Die Fälschung der Geschichte des
Urchristentums" war durch den selben Verleger sehr sorgfältig
aus dem Nachlaß Kammeiers im Jahr 1981 herausgegeben worden (Neuauflage
2001). Nur Band II fehlte noch, denn es gab ja die fünf Einzelhefte
aus dem Adolf Klein Verlag in Leipzig, die zwischen 1936 und 1939 erschienen
waren, und einen ersten Nachdruck von zwei Heften in Husum 1979. Leider
waren die fünf originalen Hefte schwer aufzufinden, nicht jede Bibliothek
besaß sie. Darum ist es nun eine Erleichterung für alle Geschichtsforscher,
das Gesamtwerk in so schöner und erschwinglicher Ausgabe zur Hand
zu haben.
Über Wilhelm Kammmeier brauche ich kaum etwas zu wiederholen, er
ist in unserem Kreis eine bekannte Größe. Ohne Übertreibung
kann man sagen, daß er die eigentliche Triebfeder der neuen Chronologierekonstruktion
in Deutschland wurde, und daß wir noch nicht sehr weit gekommen
wären, wenn uns nicht H.-U. Niemitz 1991 auf diesen Klassiker hingewiesen
hätte.
Dennoch muß ich hier etwas nachholen, was durch achtlosen Umgang
mit Informationen entstanden war: Wie Nachforschungen durch Winfried Seibert
ergeben haben, war Kammeier kein Notar oder gar Rechtsanwalt, wie aus
der Verlagswerbung verlautete und ich ungeprüft übernommen hatte,
sondern ein armer Volksschullehrer, und das nur zeitweise. Richtig ist,
daß Kammmeier wie ein Staatsfeind behandelt wurde und 1959 an Unterernährung
in Arnstadt (in Thüringen) starb, wo er begraben liegt. Über
Kammeiers Person ist auffällig wenig in Erfahrung zu bringen. Seine
Witwe überlebte ihn um zwei Jahrzehnte in größtem Elend.
In einer Auskunft der Stadtverwaltung Arnstadt ist folgende Mitteilung
dokumentiert: Frau Charlotte Margarete Kammeyer (geb. Bode, geb. 4.3.1916
in Minden /Westf.) verwitwet, starb 3.5.1978 in Arnstadt/Thür. -
Die geänderte Schreibweise des Nachnamens wird nicht erklärt.
Horst Fuhrmann, langzeitiger Chef der höchsten deutschen Historikervereinigung,
erwähnt Kammeier ("Überall ist Mittelalter", München
1996; TB 2002) auf S. 11 kurz und S. 244-251 ausführlich, allerdings
in dermaßen niederschmetterndem, haßerfülltem Ton, daß
man die Angaben (zumindest die tendenziöse Auswahl) anzweifeln darf.
Er will Kammeier sogar zur unehelichen Geburt verdammen, obgleich das
nicht beweisbar ist und nichts zur Sache tut. Dorfschullehrer und schließlich
arbeitslos war er also. Und es gab sogar Nazis, die ihn lobten, tatsächlich!
Fuhrmann erwähnt am Schluß auch noch ein Buch ohne Autor, "Das
Gesetz der Mitte in der Gesellschaft" (Bayreuth 1994), das über
Kammeiers Thesen 100 Seiten lang berichtet, aber möglicherweise politisch
nicht korrekt ist.
Die Herausgabe von Kammeiers gesamten Werken - und das bedeutet auch die
Umformung der Frakturschrift in lateinische Buchstaben - war sicher keine
leichte Aufgabe, weshalb die lange Zeitspanne, die bis zur jetzigen Vollendung
währte, verständlich ist. Die wenigen Druckfehler, die dabei
entstanden, sind leicht erkennbar, somit unwichtig. Die Sperrungen wurden
sämtlich aufgehoben, was kein Nachteil ist. Roland Bohlinger hat
dankenswerterweise alle Anmerkungen Kammeiers übernommen und am Schluß
des Bandes fortlaufend numeriert gebracht. Außerdem fügte er
eine vollständige Liste aller von Kammeier ausdrücklich zitierten
Literaturwerke an. Daß Kammeier sehr viel mehr gelesen und verwertet
hatte, ist selbstverständlich.
Worin liegt nun für uns das Besondere des zweiten Bandes?
Es liegt in der Entstehungsweise der fünf Hefte von 1936 bis 39,
die in der heutigen Zusammenstellung wörtlich übernommen wurden.
Darin wehrt sich Kammeier gegen seine Kritiker, und zwar ganz aktuell
von Heft zu Heft. Dieses Gespräch packt den Leser und läßt
ihn unvermutet den Kampf miterleben, der sich damals abspielte. Ein einzelner
Vorkämpfer gegen die geschlossene Schlachtreihe der staatlichen Geschichtsverwalter
des Reiches, das ist ein guter Grund zur Bewunderung. Und wie er sie fertigmacht
mit den Mitteln des Geistes und der Feder - das ist alle Achtung wert.
Heute wissen wir - die wenigen Chronologiekritiker - daß Kammeier
Recht hatte. Einmal werden es alle begreifen, denn dieser Logik, die dermaßen
minutiös und sorgfältig ausgeführt ist, kann sich ein denkender
Mensch nicht verschließen. Die Lebendigkeit des Dialoges mit seinen
Kritikern macht das Buch zu einem Erlebnis.
Hier ein Beispiel: Im Streitgespräch mit seinem Gegner Heimpel, der
später berühmt wurde, während Kammeier in Vergessenheit
geriet, spricht K. (S. 136) vom "logischen Dualismus (um keine treffendere
Bezeichnung zu gebrauchen)." Was wäre treffender? Schizophrenie!
Denn so könnte man es nennen, wenn ein Historiker als selbstverständlich
annimmt, daß der Papst eine feste Residenz bewohnt und Registratur
über seine Erlasse führt, während der Kaiser wie ein Nomade
stets umherzieht und wahllos Urkunden ausstellt, ohne darüber Buch
zu führen, wie uns die Itinerare der deutschen Kaiser über Jahrhunderte
hinweg weismachen sollen. Dahinter muß ein anderer Mechanismus stehen,
eine "Große Aktion".
Heimpel warf K. "Unsinn" vor. Ein neuerer Kritiker sprach von
"Halbwahrheiten". "Nur Geduld", kontert K., "über
kurz oder lang werden sich die Halbwahrheiten als volle runde Wahrheiten
entpuppen." (S. 136)
Wer die Diskussion der letzten Jahre verfolgt hat, weiß, daß
man mit den Prozentzahlen immer näher an K. heranrückt: Waren
zunächst mehr als 50% der mittelalterlichen Dokumente als gefälscht
erkannt, sind es nun schrittweise über 70% und stellenweise gar 90%
geworden, bald bleibt nichts mehr übrig, wie voriges Jahr eine Wochenzeitschrift
(Der Spiegel, 2002) schrieb.
Einige bemerkenswerte Sätze über Rom möchte ich hier hervorheben:
"Eine Tradition von der Sedes Romana, das heißt dem Sitz des
Papsttums in Rom, hat zur Zeit des angeblichen Exils (in Avignon) noch
gar nicht im christlichen Bewußtsein bestanden. Weiter: Rom war
während des ganzen Mittelalters hindurch ein unbedeutendes Hirtendorf;
ein "Papst" hat also während des Mittelalters in Rom nicht
residiert!" (S. 222) Diese heute für unsere Chronologierekonstruktion
außerordentlich wichtige Erkenntnis - siehe mein Buch ZeitFälschung,
S. 159 ff. und W. Zarnacks Anhang zu Kammeier, Bd. I (2000) - muß
als Leitbild für alle Forschungen über diese Zeit gelten. Das
Exil der Päpste in Avignon mag erfunden sein, irgendetwas ist an
dieser Erfindung ablesbar, etwa soviel: in diesem Gebiet entwickelte sich
der Verwaltungsarm der jungen Kirche. Aber vorher kann es keine Päpste
gegeben haben, soviel wird jedem klar, der das Buch aufmerksam liest.
Was Kammeier zum "Zentralproblem der Ketzergeschichte" sagt
(ab S.206), ist ganz besonders aufhellend und für unsere Rekonstruktion
hilfreich. Dabei handelt es sich um ein sehr weit reichendes Phänomen,
auch im Islam gab es im gleichen (fiktiven) Zeitraum Ketzer, und ebenfalls
unter einem griechischen Namen: die sindiq, von Syndikos, Rechtsbeistand.
Die Begharden und Beginen jedenfalls, die Kaiser Karl IV 1369 angeblich
"in den Provinzen Magdeburg und Bremen, in Thüringen, Sachsen
und Hessen vernichtet" haben wollte, blühten auch ein Jahrhundert
später noch in Norddeutschland - seltsam genug. Andererseits wissen
wir nichts von ihnen selbst. Gespenster der Kirchengeschichte! Das zu
verstehen hilft K. mit seiner Aufklärung.
Wer Kammeiers Werke noch nicht vollständig auf dem eigenen Bücherregal
stehen hat, sollte dieses Buch erwerben. Und wer noch einmal diese lückenlose
und beispielhafte Beweisführung liest, wird immer besser verstehen,
daß Kammeiers Vorarbeit unersetzlich war für alle heutigen
Anstrengungen der Geschichtsrekonstruktion.
Kammeier, Wilhelm: "Die Fälschung der deutschen Geschichte"
(Leipzig 1935/ Husum 1979/Viöl 2000)
"Die Wahrheit über die Geschichte des Spätmittelalters"
(2 Hefte als Neudruck Husum 1979) - "Der zweite große Angriff"
(alle 5 Hefte, Viöl 2003)
"Die Fälschung der Geschichte des Urchristentums" (Husum
1981/Viöl 2001)
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