Berlin · 2001 Uwe Topper
Zwischen den allgemein bekannten Fähigkeiten der antiken Griechen in Bezug auf Astronomie und Landvermessung und dem aufstrebenden Forschertum seit der Renaissance klafft eine Lücke, die nur schwer erklärbar ist. Eine Betrachtung über die Erdmessungen und Weltkarten der Antike will diese Anomalie aufhellen.
Es gibt ein altes Liniensystem, das nicht aus der Kenntnis der erdmagnetischen
Strahlen abgeleitet ist: das vorgeschichtliche Liniengitter zum Zweck
der Landvermessung, das mit ähnlichen Festpunkten wie den heutigen
TP (Trigonometrischen Punkten) gearbeitet hat.
Hermann Zschweigert hatte durch ausführliche Untersuchungen festgestellt,
daß in der Megalithzeit ein einheitliches Maßsystem verwendet
wurde, das in den erhaltenen Bauten mit großer Genauigkeit nachweisbar
ist. Diese Maße sind stets Teile der Erdmaße, also des Erdradius
und -umfangs. Die Erstellung solcher Maße erfordert aber ein hochentwickeltes
mathematisches Können.
Die Erdmaße
Will man den Umfang der Erde feststellen, dann braucht man dazu zwei Angaben: Die Entfernung zwischen zwei Orten A und B auf einem Meridian und deren geographische Breite. Während die Feststellung der geographischen Breite zum Beispiel über die einfache Winkelmessung der Höhe des Polarsterns recht genau möglich ist und bei entsprechend großem Abstand der Orte A und B auch für die Berechnung des Erdumfangs ausreichen kann, ist die Feststellung der Entfernung zwischen den beiden Orten A und B nur mit aufwendigen Messungen zu erreichen, besonders dann, wenn diese Entfernung aus Zwecken der Genauigkeit sehr groß sein muß.
Wegen der Unebenheiten im Gelände ist eine gerade Nord-Südrichtung der Messung meist nicht einzuhalten, weshalb es sich empfiehlt, in Dreiecken voranzuschreiten. Nach dem Vermessen von genügend vielen Dreiecken ergibt sich eine große Linie, die als Grundmaß für die Schlußberechnung des Erdumfangs dient.
Bei allen diesen Überlegungen geht man natürlich davon aus, daß die Erde eine perfekte Kugel sei. Die tatsächliche Ungenauigkeit kann für unseren Zweck vernachlässigt werden. Sie könnte uns nur einen Hinweis auf die Entstehungsgegend des erhaltenen Maßes geben, wenn dessen Genauigkeit außergewöhnlich ist. Für die vorliegende Untersuchung entfällt dieser Punkt.
So einfach die Berechnungen der beiden Grundmaße auch durchzuführen sind, erfordern sie doch insgesamt eine hochentwickelte Einstellung zur Umwelt, wie sie Naturmenschen nicht haben. Die Kennntis der Größe des Erdballs ist ja auch nicht das Ziel in sich, sondern nur eine Grundbedingung für weiterreichende wichtige Berechnungen, die vor allem das Schwereverhältnis zwischen Mond und Erde betreffen und aus berechtigter Angst vor deren Bahnveränderungen entwickelt wurden.
Nun geht aber aus dem Gesagten hervor, daß die eine Hälfte der beiden Grundmaße, nämlich die Entfernungsmessung zwischen den Orten A und B, eine möglichst große ebene Landschaft erfordert, wie sie etwa in der norddeutschen Tiefebene vorliegt, an den Küsten oder auf Inseln jedoch nicht ausgeführt werden kann, denn Messungen über größere Meeresstrecken sind ja mit einfachen Hilfsmitteln nicht möglich.
Das führte mich zu einer Nachprüfung der Angaben, die wir in der Schule gelernt haben: Eratosthenes (276-194 v.Ztr.) habe als Leiter der Staatsbibliothek von Alexandrien als erster in der Antike den Erdumfang genau bestimmt. Dies geschah angeblich auf folgende Weise: Er nahm an, daß Alexandria und Syene (Assuan am Nil vor dem ersten Katarakt) auf demselben Meridian lägen. Das stimmt leider nicht, denn Alexandria liegt auf 30° östl. Länge und Assuan etwa auf 33° östl. L.; der Unterschied von 3 Grad macht mehr als 300 km aus!
Seine Abstandsbestimmung ist ebenso großzügig; zwischen den beiden Orten betrage sie 5000 Stadien. Da er als Unterschied der geographischen Breite der beiden Orte erstaunlich genau den Wert 7° 12' ermittelte (nicht über den Polarstern sondern über den Mittagsstand der Sonne am Mittsommertag), ist dieser Teil - ohnehin der einfachste Teil - der Rechnung korrekt: Der Gradunterschied beträgt genau ein Fünfzigstel des Gesamtkreises. Und daraus ergibt sich für den Erdumfang 250.000 Stadien, was erstaunlich genau ist; Eratosthenes habe sogar noch 2000 Stadien hinzugefügt, vermutlich um die Ungenauigkeit des Längengrades auszugleichen, und somit den Erdumfang mit 252.000 Stadien festgelegt. Das ergäbe 110 km als Länge für einen Grad, nur einen knappen Kilometer weniger als unsere heutigen Berechnungen.
Die Angabe, der gemessene Abstand zwischen Alexandria und Syene (Assuan) betrage glatt fünftausend Stadien, ist natürlich eine nachträgliche Festlegung, denn das Stadion als kommensurabler Teil des Erdumfangs ist ja Ergebnis dieser Messung. Das vorher verwendete Längenmaß wird irgendeine später nicht mehr verwendete Maßeinheit gewesen sein.
Es steht nämlich aus unzähligen Angaben und der in den Pyramiden enthaltenen Maße fest, daß die Ägypter die genaue Größe der Erde kannten, weshalb Eratosthenes ganz einfach auf deren Maße hätte zurückgreifen können, zumal ihm in seiner riesigen Bibliothek zahlreiche mathematisch-astronomische Werke zur Verfügung standen. So wird es sich - genau wie mit der Bibliothek selbst - auch bei Eratosthenes um eine der üblichen Fabeln der Renaissance handeln. Die Behauptung, daß Posidonius zweihundert Jahre später das Ergebnis etwas genauer ermittelt habe, ist geradezu lächerlich: Er setzte als Längenabstand zwischen der griechischen Insel Rhodos und der ägyptischen Stadt Alexandria die per Seereise geschätzte Entfernung von 5000 Stadien ein. Wie um alles in der Welt will er das gemessen haben? Außerdem liegen auch Rhodos und Alexandria nicht auf einem Meridian, sondern um 2° versetzt.
Es ist also völlig unklar, wie die alten Griechen so erstaunlich genaue Meßergebnisse erzielt haben. Sie sind korrekt, aber nicht in der Weise zu erlangen, in der Eratosthenes oder Posidonius vorgeben, sie erstellt zu haben.
Griechische Wissenschaft
Nun stieß ich bei meiner Suche auf ein Werk, das von einem Spezialisten dieser Materie vor etwa hundert Jahren mit großer Sachkenntnis verfaßt wurde: Miller, Konrad (1919): Die Erdmessung im Altertum und ihr Schicksal (Stuttgart) 66 S.
Miller (S. 3) kennt acht verschiedene Zahlen für den Umfang der
Erdkugel von Schriftstellern des Altertums. Der erste war Aristoteles,
der für dieses Maß 400.000 Stadien angibt, wobei er nur sagt,
daß Mathematiker dieses Resultat ermittelt hätten.
Als nächster wird Archimedes genannt, der 300.000 als überliefertes
Maß nennt. Die Berechnung sei aus dem Unterschied der Polhöhe
von Lysimachia und Syene gleich ein Fünfzehntel des Vollkreises (d.h.
24° statt 16,5°, wie es richtig wäre) und der bekannten Entfernung
der beiden Orte : 20.000 Stadien, erfolgt. Da aber die Grundwerte falsch
sind und außerdem die Strecke übers Mittelmeer nicht gemessen
werden konnte, kann es sich bei diesen Werten nur um falsch überlieferte
Vorgaben handeln.
Eratosthenes (um 200 v.Ztr.) gibt wie gesagt 252.000 Stadien an. Der Radius - überliefert bei Plutarch - wäre demnach glatt 40.000 Stadien. Da das ägyptische Stadium 157,5 m beträgt, ergibt sich für den Erdumfang 39.690 km, was heute noch fast als korrekt gelten kann. Außerdem ergibt sich 1° = 700 Stadien, eine auffällig genaue Zahl, die wohl wieder besagt, daß das Stadion erst nach Bekanntwerden der Erdgröße aus dieser abgeleitet ist. Da Eratosthenes nicht mit Graden rechnet, ist auch dies ein Hinweis darauf, daß sein Ergebnis bereits festlag.
Ich könnte mir denken, daß der sogenannte Eratosthenes in der Renaissance einen ägyptischen Entwurf verwendet hat, der von Alexandria (richtiger wohl: westlich der Nilmündung) bis Assuan (richtiger: irgendwo in der Wüste auf diesem Breitengrad) eine Landvermessung vorgenommen hat, die etwa 5000 Stadien entsprach und darum günstig für eine Berechnung war. Das setzt natürlich voraus, daß die Kugelgestalt der Erde bekannt und akzeptiert war. Eine zweite Landvermessung (gibt Miller an) hätte dann die Genauigkeit vorangetrieben, da sie bis Meroe (wohl der Hauptstadt) im Sudan vorging. Die jeweiligen Ungenauigkeiten durch Verschiebung des Längengrades um 3 und 2 Grad wären durch die geeignete Wahl des Meßortes ausgeglichen worden (oder durch mathematische Korrektur, wie Miller annimmt, was mir unwahrscheinlich vorkommt, denn es bezieht schon die Größe des Erdballs mit ein, die ja erst errechnet werden sollte).
Allerdings ist die Landvermessung Ägyptens per Schnur oder Stab, wie sie Miller beschreibt, nirgendwo belegt, und ihr zweiter Teil bis Meroe ohnehin unwahrscheinlich, da der Weg über zerklüftetes Gebirge führt. Es handelt sich nur um Schlußfolgerungen von Miller, weil es anders nicht möglich gewesen wäre.
Der dritte Teil, nämlich von Rhodos bis Alexandria, müßte erst rückberechnend von den schon erzielten Maßen erfolgt sein, was Miller auch klarstellt. Diese "Seemessung" geht angeblich auf die Angabe der Schiffer zurück, "4 bis 5000 Stadien". Eratosthenes wählt 3750 Stadien, was recht genau ist. Etwa 150 Jahre später wählt Posidonius 4000 Stadien, was zu seiner fehlerhaften Rechnung besser paßt.
Miller betrachtet alle ihm zugänglichen Erdmessungsangaben in der griechischen und lateinischen Literatur und kommt zu dem Schluß (S.16), "daß es im ganzen Altertum nur eine einzige Erdmessung gibt, welche diesen Namen verdient, die des Eratosthenes." Alle anderen Behauptungen (Posidonius, Ptolemäus usw.) beruhen auf Abschreiben und Berechnung, nicht auf eigener Messung.
Bei Posidonius kommen zwei verschiedene Angaben als Erdumfang vor: 240.000 und 180.000 Stadien. Miller fand heraus, daß beide Maße dasselbe bedeuten, wenn man einmal das ältere ägyptische (philetäre) Stadion, zum anderen das jüngere Stadion zugrundelegt. Beide verhalten sich wie zwei zu drei. Da beide Angaben auf dasselbe hinauslaufen und falsch sind, beruhen sie auf einer mißverstandenen Berechnung eines Vorgängers, wohl des Eratosthenes.
Sehr ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Feststellung, wie groß die Ökumene sei, die Landmasse der Alten Welt zwischen den Säulen des Herkules (Gibraltar) und dem Ostzipfel von Korea: Bei Eratosthenes beträgt sie 120°, bei Posidonius 180°. Richtig wäre etwa 140°. Bei Posidonius wird die Entfernung von den Säulen des Herkules westwärts über den Atlantik bis Indien mit 70.000 Stadien angegeben, das wären knapp 11.000 km, viel zu wenig!
Eine weitere Angabe bei Posidonius, die Miller (S. 10) auf Eratosthenes zurückführt, soll die Größe oder Entfernung der Sonne erkennen lassen: Um Syene sei zur Zeit der Sommersonnenwende ein Kreis von 300 Stadien im Durchmesser, an dem der Schatten fehlt. Syene liegt zwar nicht genau auf dem Wendekreis, sondern etwas nördlich davon, Eratosthenes nimmt statt dessen die runde Gradzahl 24 (obgleich er angeblich die genaue Schiefe der Erdbahn, 23° 51' 20" kannte). Die Beobachtung der Schattenlosigkeit ist subjektiv, je nach der Genauigkeit, die dabei gefordert wird. Dennoch meint Miller, daß mit den 300 Stadien eine beachtliche Leistung erzielt wurde, denn aus dieser Angabe berechnet Posidonius den Durchmesser der Sonne als 10.000 mal 300 Stadien = 3 Millionen Stadien (das wären 4,7 Millionen km, richtig wäre 1,4 M km) und die Entfernung der Sonne 10.000 mal den Erdradius (das wären 63 Millionen km, korrekt wären 150 M km). Beide Ergebnisse, die nicht näher ausgedrückt wurden, liegen innerhalb der richtigen Größenordnung, was ich für ganz außergewöhnlich halte. Der Faktor 10.000 ist allerdings ein willkürlich angenommener für die Sonnenentfernung, sagt Miller, "und ein glücklicher Zufall gab es, daß er der Wahrheit näher kam als irgend ein Astronom des Altertums." (S. 11).
Miller (S.11) nennt Posidonius einen "mathematischen Seiltänzer". Wir sehen, daß die von ihm benützten Vorgaben teilweise zu richtigen Resultaten führen, was nur bedeuten kann, daß er ältere korrekte Messungen verwertete, wenn auch mit mehr oder weniger Geschick.
Auch Archimedes macht die Rechnung mit dem Faktor 10.000, hat aber für den Erddurchmesser eine zehnfache Größe und kommt so zu einem unsinnigen Ergebnis.
Daraus ergibt sich mein Problem:
Eratosthenes stellte den genauen Erdumfang fest, ohne die nötigen Vorarbeiten gemacht zu haben. Woher hatte er das? Und besonders: wenn er in der Renaissance erst geschrieben wurde!
Weltkarten
Je älter die Weltkarten sind, desto besser sind sie. Um 1500 kannte
man keine Landvermessung mehr, man kopierte Landkarten, die sehr viel
älter waren, oft vorkatastrophische Zustände zeigten, und dennoch
geglaubt wurden.
Und dieser irre Zustand war allgemein bekannt!
Galilei benützte Planetendaten, die er nicht errechnen konnte, sogar falsch umrechnete, und gelangte dennoch zu richtigen Ergebnissen. Dasselbe gilt auch für Ptolemäus und andere Griechen. Sie wußten, was herauskommen mußte, und erfanden Vorgänge und Berechnungen, die zum gewußten Ergebnis führten.
Miller bringt gute Beispiele! Er zeigt auch, wie die Maßangabe des Eratosthenes von mehreren Arabern richtig überliefert wurde, den Indern oder dem Hermes zugeschrieben, ohne daß die arabischen Längenmaße (Farsange etc.) übereinstimmen würden. D.h. Miller erhält durch geschickte Rückrechnungen das Ergebnis von Eratosthenes (252.000 Stadien für den Erdumfang), ohne daß die Araber selbst das Ergebnis so klar gekannt hätten. Es soll sogar eigene arabische Landvermessungen zu diesem Zweck gegeben haben, worüber man zahlreiche Berichte hat, "leider keinen authentischen" (S. 33). Es ist hauptsächlich der berühmte Alfraganus (Al Ferghani), der uns diesen Vorgang mitteilt.
Mas'udi beschreibt drei Erdmessungen und sagt schließlich, es käme dasselbe Ergebnis heraus wie bei Ptolemäus, was aber nach Miller nicht stimmt. Auch Ibn Junis (gest. 1008, m.E. im 14. Jh.) berichtet von sehr genauen Messungen und exakten Ergebnissen, die dennoch nicht berücksichtigt wurden, wie er selbst angibt, denn man benützte weiterhin die antiken Maße. Die arabischen Berechnungen für 1° im Zweistromland sind nur 1,5-2% falsch, stellt Miller (S.35) fest. Der Erdumfang liegt demnach zwischen 39168 und 39400 km, was unserem heutigen Wert (40034 km) sehr nahe kommt. Wiederum scheint die genaue Nordrichtung der vermessenen Linie nicht eingehalten zu sein, sogar noch weniger als bei Eratosthenes.
Während die Araber ihre eigenen Meßergebnisse nicht benützten, haben Christen wie Albertus Magnus und Roger Bacon, beide im 13. Jh., die arabischen Maße verwendet (S.36). Das ist unglaublich, wohl wieder nur der verfälschten Geschichtsschreibung zu verdanken.
In jedem Falle scheidet die Schulmeinung aus, daß man "damals" geglaubt habe, die Erde sei eine Scheibe.
Miller bespricht anschließend (S. 37 ff) die Gradangaben des Ptolemäus und erkennnt (was wir durch Robert Newtons Untersuchung der astronomischen Werte inzwischen auch wissen): Ptolemäus hat die Werte der 330 Städte nicht beobachtet (wie er behauptet), sondern aus wenigen alten Beobachtungsdaten ein System aufgebaut, in dem er mit falschen Vorstellungen völlig verkehrte Werte errechnete. (Das bedeutet, daß die anderen Koordinatenangaben, "Tausende" laut Miller S. 37 und 47, sowieso nur geschätzt waren). Seine Breitengrade, die doch verhältnismäßig leicht zu ermitteln wären, wurden aus der jeweiligen Tageslänge des Ortes errechnet, aber sie liegen teilweise um 2,5° bis 5° zu weit nach Norden, von Gades (Cádiz) als korrektem Mittelpunkt ausgehend, und für die Kanaren sogar 18° zu weit nach Süden. Daß ausgerechnet Cádiz mit 36° richtig bestimmt ist, läßt tief blicken: Nur dort, in der klassischen Schule der Astronomen, wurde eine Messung vorgenommen; alle anderen Angaben sind von diesem Fixpunkt aus errechnet, und da ein falsches Maß für den Breitengrad vorlag, sind die Ergebnisse unbrauchbar.
Für die Längengradbestimmung ist das Ergebnis - wie zu erwarten - noch schlechter. Hier ist der Ausgangspunkt Alexandria in Ägypten. Zwar wird eine vernünftige Methode vorgeschlagen, nämlich den zeitlichen Verlauf von Finsternissen an verschiedenen Orten in Rechnung zu stellen, aber sie wurde nicht angewandt; auch die Messung der Entfernung ist natürlich nicht wirklich erfolgt, sondern nur aus Schätzungen von Reisenden und Seefahrern abgeleitet, was völlig verzerrte Daten ergibt. Ptolemäus begeht dann noch den Fehler, seine Schätzungen miteinander ausgleichen zu wollen, was schließlich zu Unsinn führt, wie Miller feststellt.
Miller sagt weiter: Die große Landkarte des Ptolemäus sei für das gesamte Mittelalter bestimmend gewesen in so autortärer Weise, daß sie bessere Erkenntnisse, Itinerare und Kompaßkarten verdrängte. Man fragt sich, ob diese Einschätzung richtig ist oder ob die damaligen Kartographen völlig kritiklos gearbeitet haben. Alle Eintragungen, Orte wie Küsten und besonders Inlandflüsse, sind dermaßen verzerrt wiedergegeben, daß die Karte für den Gebrauch nichts taugte. Das Mittelmeer ist übermäßig in die Länge gezerrt, in Wirklichkeit beträgt es nur etwa zwei Drittel der von Ptolemäus angegebenen Länge, womit alle Eintragungen falsch wurden. Die nordafrikanischen Inlandsangaben über Flüsse und Berge spiegeln den Stand der römischen Entdeckungsreisen, beziehen sich also nur auf einen recht schmalen Streifen von Marokko und Libyen-Ägypten, die Sahara ist praktisch unbekannt. Ein großer Teil der Verzerrungen folgte aus dem Längenmaß, das Ptolemäus falsch umgerechnet hatte. Allerdings kann durch eine korrigierte Rückberechnung der ursprüngliche Zustand der Vorlage nicht mehr ersehen werden, da die Fehler chaotisch auftreten.
"Leicht hätte Ptolemäus den Grundfehler, welcher sein ganzes Werk verunstaltet, entdecken können. Wenn er auch nur an einem einzigen Beispiel die Probe gemacht hätte, so wäre er zunächst zum Zweifel, und bei weiteren Proben zur Entdeckung seines Irrtums gelangt." (S.48).
Erhalten sind drei große und eine kleine Ptolemäuskarte, auf
die sich - und natürlich auf die schriftlichen Tabellen - unser Wissen
stützt. Erst ab dem 14. Jh.. zeigen die Kompaßkarten normale
Entfernungen und sehr genaue Küstenformen. Diese müßten
- so schreibt Miller in Anlehnung an H. Wagner - höchstwahrscheinlich
auf das Altertum zurückgehen (S.49). Können wir daraus schließen,
daß das Altertum gegen 1300 erst zu Ende ging? Das würde unseren
neueren Thesen gut entsprechen.
Aber wie ist der Niedergang zwischen 1300 und 1500 zu erklären? Lag
vielleicht eine Katastrophe dazwischen?
Die Weltkarten im 16. Jh. sind noch haarsträubend verzerrt, wie man z.B. am "Erdapfel" des Martin Behaim sehen kann, der im Germanischen Museum in Nürnberg ausgestellt ist. Er wurde 1492, also kurz vor der Kolumbustat (d.h. Bekanntmachung des seit langem benützten Seeweges nach Amerika) erstmals erstellt und in den nächsten Jahrzehnten korrigiert. Da stimmt nicht einmal Sizilien, geschweige denn Südafrika oder Ceylon! Und diese Weltgegenden waren doch längst umschifft. Offensichtlich geht auch Behaims Globus noch auf Ptolemäus zurück.
Gregor Reisch (1503) und Glareanus (1527, siehe Miller S. 15) erkennen zwar, daß die Ptolemäus-Karte unbrauchbar ist und durch Korrekturen nicht besser wird, wissen aber nicht den Grund. Nur der Spanier Jaime Ferrier nannte schon den Fehler bei der Umrechnung der Längenmaße als Erklärung, als er Kolumbus 1495 eine Denkschrift überreichte, die 1545 gedruckt wurde.
Hier herrscht Durcheinander! Es gibt einerseits die völlig unmögliche Ptolemäus-Karte, andererseits gute Kompaßkarten der Seefahrer und außerdem noch die wie Luftaufnahmen eines vorkatastrophischen Zustands wirkende Piri-Reis-Karte von 1513 (siehe Hapgood). Und die verwendeten Längenmaße sind sämtlich auf den Erdumfang und Radius bezogen, seit "megalithischer Zeit", wobei deren tatsächliche Länge nicht allen Benützern bekannt war.
Auch Finäus (1531) und Mercator (1569) stellten noch Karten her, die das ursprüngliche korrekte Erdbild zeigen (Hertel S.59 und 67). Erst allmählich werden die genauen Küstenlinien und Entfernungen durch die Berichte der Entdeckungsfahrten verändert und schließlich immer mehr verfälscht (wegen der ungenauen Längengradbestimmungen). Schon die zweite Piri-Reis-Karte (von 1528) ist dermaßen entstellt, daß sie kaum noch erkennen läßt, auf welche vor-kolumbischen Karten sie zurückgeht.
Und was den Erdumfang angeht: Abbé Picard gelang es 1669 mit Hilfe von trigonometrischen Messungen, den Erdumfang wieder so wie Eratosthenes bzw. noch genauer zu ermitteln. Erst 1875 gelang es Perrier, eine Entfernung über das Mittelmeer hinweg zu bestimmen. Mittels Lichtzeichen von der Sierra Nevada in Südspanien zum Atlas in Algerien maß er die Winkel zwischen jeweils zwei Punkten auf jeder Mittelmeerseite (Bachmann Abb. 71). Da dieses Verfahren recht einfach ist, kann ich mir vorstellen, daß man auch im Altertum entsprechende Messungen vorgenommen hatte.
Das Durcheinander zwischen exakten Ergebnissen in der Antike und jahrhundertelanger Unkenntnis bis zur modernen Zeit kann ich mir nur durch die irreführende Geschichtsschreibung erklären, die uns sogar heute noch weismachen will, daß man jahrhundertelang geglaubt hätte, die Erde sei eine Scheibe. Welchen Zielen diente die Verdunkelung?
Literatur
Bachmann, Emil (1965): Wer hat Himmel und Erde gemessen? (Thun/Schweiz)
Bagrow, L. (1951): Die Geschichte der Kartographie (Berlin)
Bunbury, E.H. (1883): A History of Ancient Geography among the
Greeks and Romans (2 vol.; New York; reprint 1959)
Eratosthenes (Fragm.): Die geographischen Fragmente. Neu gesammelt,
geordnet und besprochen von Hugo Berger (Leipzig 1880/reprint Amsterdam
1964)
Hapgood, Charles (1966): Maps of the Ancient Sea Kings (Philadelphia/New
York)
Harley, J.B. and Woodward, David (ed.) (1987): Cartography
in Prehistoric, Ancient, and Medieval Europe and the Mediterranean (Chicago
and London, 3 vol.)
Hertel, Gisa and Peter (1984): Ungelöste Rätsel alter
Erdkarten (Gotha and Cologne)
Machalett, Walther (1970): Die Externsteine - Das Zentrum des Abendlandes
(4 vol.; Hallonen Verlag, Maschen)
Miller, Konrad (1919): Die Erdmessung im Altertum und ihr Schicksal
(Stuttgart) 66 pp.
Newton, Robert R. (1977): The Crime of Ptolemy (Baltimore and London)
Topper, Uwe (1998): Die Große Aktion (Tübingen)
Zschweigert, Hermann; Meier, Gert et al. (1997): Die Hochkultur
der Megalithzeit (Tübingen)
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