Die Londonreise 1998
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GaboEugen Gabowitsch 1998

Kurzbericht von einem Treffen der Velikovskianer in London am 7. Nov. 1998

Einer Initiative von Christoph Marx folgend verbrachten die drei Berichterstatter (Marx-Gabowitsch-Topper) 24 Stunden (einschließlich zweier Nächte) in seinem computerisierten Kleinbus, um nach London zu fahren und an der Sitzung der englischen Velikovskianer-Gesellschaft SIS (Society for Interdisciplinary Studies) teilzunehmen. Die Zeit unterwegs verlief in interessanten heftigen und kontroversen Diskussionen über Katastrophen und Chronologie, über die Rolle des Kollektivs und die Methoden der Chronologiekritik.
Uwe Topper überreichte dabei den beiden Mitreisenden frische Exemplare seines neuen Buchs „Die große Aktion“, in dem er die Geschichte der Chronologiekritik und der Geschichtsfälschung an vielen Beispielen, die auch von ihm entdeckte neue Quellen aus dem iberischen Sprachraum einschließen, demonstriert (das Buch ist gerade im Grabert Verlag, Tübingen erschienen).
Schon an dieser Stelle wurde wiederum deutlich, wie richtig die Forderung von Chris Marx ist, sich der Debatte im Internet anzuschließen. (In seiner radikalsten Fassung beinhaltet seine Forderung sogar die These, die Produktion von Büchern einzustellen, denn "wenn ein Buch erscheint, ist es schon veraltet"). Toppers Buch hat einen langen Weg genommen, bevor es von einem Verlag akzeptiert wurde, und war entsprechend zu diesem Zeitpunkt schon überholt, besonders was die Auseinandersetzung mit der statistischen RMNG betrifft, die nur in einem wenige Sätze umfassenden Anhang gestreift werden konnte.
Auf die wiederholte Beschuldigung des Kollektivs - durch Ch. Marx - in der totalen Neigung zum Verdrängen von katastrophalen Erinnerungen und zur Unterdrückung von Wahrheiten betonte E. Gabowitsch den unscharfen Charakter jedes Kollektivs und die Tatsache, daß nicht das Kollektiv selbst entscheidend ist, sondern die dieses Kollektiv prägenden Weltbilder oder -modelle.
Die Unfähigkeit der meisten großen Kollektive mit abweichenden, insbesondere ketzerischen Meinungen tolerant umzugehen, eine Vielfalt der Meinungen zuzulassen, führt zur Existenz der Kollektive (Wissenschafts-, Religions- etc. Gemeinden); die lieber Verdrängung ausüben als freie Diskussion über die Prinzipien des weltanschaulichen Modellsystems zuzulassen.
Unser ganzes Ausbildungsystem ist dafür verantwortlich, weil die Schule (auch die höhere Schule) voll auf die Übermittlung der schon kanonisierten „Wahrheiten“ und nicht auf die Erziehung zum nachdenklichen Umgang mit den Letzteren, nicht zum Zweifeln und Tolerieren der vom Wissenskanon abweichenden Meinungen erzieht.
Ch. Marx wiederholte mehrere Male seine These von der absoluten Nichtigkeit aller astronomischen Rückrechnungen, weil diese die Katastrophe des 14. Jh.s total ignorieren. Auch wenn, wie im Fall des Dendera-Tempels, die astronomische Rückrechnung Daten in der Zeit nach dieser Katastrophe liefert, wird die Beweiskraft dieser Tatsache durch die potentielle Möglichkeit eines Datums in der kurz vor der letzten großen Katastrophe liegenden Zeit fast zunichte gemacht.
E. Gabowitsch verteidigte eine andere Position. Erstens, meinte er, sollte man über die Ausmaße der erwähnten Katastrophe diskutieren. Vielleicht brachte sie überhaupt keine – aus der Sicht der astronomischen Rückrechnungen – bemerkenswerte Kippung der Erdachse. Bei Berechnung der Planetenpositionen in den Sternbildern werden kleine Änderungen der Erdumlaufbahn und der Erdachsenposition im Weltall noch keine ernsthaften Verschiebungen der Planetenprojektionen auf die Sternhimmelabschnitte herbeiführen.
Zweitens ist wichtig daran zu erinnern, daß die astronomische Rückrechnung ein sehr wichtiges Instrumentarium der schulwissenschaftlichen Chronologieunterstützung darstellt. Darum ist es durchaus korrekt, die astronomischen Rückrechnungen durchzuführen um zu zeigen, daß diese von der klassischen Chronologie ausgedachte Methode bei einer richtigen, modernen, ohne Voreingenommenheit – und nicht bei einer einfach auf eine unbedingte Bestätigung für die schon ausgedachten historischen Daten ausgerichteten – durchgeführten Rekalkulation ganz andere und an unsere Zeit viel nähere Daten liefern kann, als diejenigen aus den gängigen Chronologietabellen.
Auf der Tagesordnung der Sitzung der Society for Interdisciplinary Studies am Samstag, den 07.11.1998 (am Tag der Großen Oktoberrevolution) standen zwei Vorträge:
1. The Assurubanllit Problem von Bernard Newgrosh
2. The Gregorian Calendar Reforms of 1575-1582 von Clark Whelton
Der erste Vortrag von Bernard Newgrosh über die königliche Assyrerliste dauerte 90 Minuten und wirkte auf uns nach einer schlaflosen Nacht fast wie eine stark wirkende Schlaftablette. Insbesondere monoton erschien uns die wiederholte Nennung der scharfsinnigen Forschungsmethode, die hauptsächlich die Erwähnung der Vater-Sohn-Beziehung in Quellen nutzt.
Bernard Newgrosh besprach zwar zum wiederholten Male das bekannte Problem, leider aber ohne überhaupt auch nur am Rande auf die Evidenzrekonstruktion (Gunnar Heinsohn u.a.) einzugehen, ja sie überhaupt nur zu erwähnen. Auf die entsprechenden Fragen unsererseits war deshalb auch keine Antwort auf das vorgestellte Problem erhältlich. In diesem Sinne kann auf die Einzelheiten leider auch gar nicht eingegangen werden, obwohl der Vortragende drei große zusammenhängende Herrscherblöcke in der Liste feststellte. Er kam aber keineswegs auf den Gedanken, die Identität oder mindestens die Überlappung dieser Blöcke in Betracht zu ziehen.
Von einer großen Bedeutung war dafür ein straff vorgetragener und ca. eine Stunde dauernder Bericht von Clark Whelton über seinen Weg zu der Weltanschauung, die der der Zeitensprüngler sehr ähnelt. Dieser Vortrag demonstriert eine positive Wende in der Philosophie der amerikanischen Velikovskianer und die Tatsache, daß auch in SIS eine entsprechende Wende zu erwarten ist.
Dieser Vortrag wurde durch Uwe Topper in Stichworten mitgeschrieben und wird nun basierend auf diesen Aufzeichnungen referiert. Er war der eigentliche Grund für die spontane Londonreise der drei Zeitspringer: Clark Whelton gehört zum amerikanischen Kreis der Velikovskianer und hat mit seinem Flug über den Atlantik eine neue Phase der internationalen Diskussion des modernen Katastrophismus im Zusammenhang mit der Chronologie eingeleitet.
Der Katastrophismus verändert unsere Vorstellung von Zeit – so lautete das erste Motto dieses denkwürdigen Vortrages. Velikovskys erste Fragestellung hatte das Ziel gehabt: Wann fand der Exodus wirklich statt? Der Altmeister der Zeitrekonstruktion hielt jedoch das „Dunkle Mittelalter“ des Abendlandes nur für eine Frage der Anschauung, keineswegs für so real wie die griechischen „dark ages“, die einer Revision bedürfen. Für Velikovsky stimmte die Jahreszählung nach AD mit seinem Konzept der Wirklichkeit überein. Er schlug sein Basislager im 15. Jh. v.Chr. auf und arbeitete sich von dort aus bis zur heutigen Zeit voran, gegründet auf einen unerschütterlichen Glauben an die Korrektheit der biblischen Chronologie, die er als Hebel ansetzte, um die ägyptische Geschichtsschreibung ins Lot zu bringen.
Whelton argumentierte dagegen, daß wir vor der Errichtung einer neuen Chronologie erst einmal prüfen müssen, wie gesund denn dieser Baumstamm ist, auf den wir die Korrekturen aufpfropfen. Velikovsky hatte auf Wheltons Frage, warum er nicht mit Alexander d.Gr. als Fixpunkt beginne, geantwortet, es sei leichter, den Weltlauf im 15. Jh. v.Chr. als im 4. Jh. zu erkennen. Für Velikovsky war die Geschichtsvorstellung für den Zeitraum von Alexander d.Gr. bis heute grundsätzlich richtig und frei von Katastrophen.
Wheltons Anlaß für diesen Vortrag bildet seine Erkenntnis, die er im Anschluß an Heribert Illigs Arbeit gewonnen habe, daß der Augenblick der Gregorianischen Kalenderreform von 1582 der früheste verläßliche Zeitpunkt für einen neuen Ansatz ist und die davor liegende AD-Zeitrechnung neu hinterfragt werden muß. Obgleich Whelton des Deutschen nicht mächtig ist und seine Kenntnis der Phantomzeit-These nur auf Birgit Lieschings Interpretation beruht, gelang es ihm doch erstaunlich gut, Illigs These in wenigen Worten seinen englischsprachigen Zuhörern vorzustellen.
Anschließend brachte er neue Erkenntnisse zum Problem der Gregorianischen Kalenderreform, die nicht nur über die Arbeiten von Illigs Kreis hinausgehen, sondern einen ganz wichtigen Aspekt hinzufügen, der einer Aufnahme der Phantomzeit-These im englischsprachigen Raum starke Impulse verleiht und eine eigene Richtung gibt.
Die Änderung des julianischen Kalenders, sagte Whelton, war keineswegs eine Routinesache der „Apostel der Astronomie“, wie ein griechischer Gegner der Reform diese päpstliche Kommission nannte, sondern hatte konkrete Ereignisse zum Anlaß, die kurz referiert wurden:
Im November 1572 erschien ein neuer Stern am Firmament, eine Supernova in der Konstellation Cassiopeia, von so hellem Glanz, daß die Zeitgenossen sich in wilde Spekulationen und Diskussionen stürzten, deren Thema unter der gotteslästerlichen Überschrift „Die Schöpfung ist noch nicht abgeschlossen“ zusammengefaßt werden kann. Der neue Stern, der ein Jahr lang sichtbar war aber keine beobachtbare Parallaxe aufwies, zeigte unablässig auf die Schwachstelle in der aristotelischen Himmelskunde. Fünf Jahre später, am 11. November 1577, erschien ein nicht weniger atemberaubender Komet mit einem 22° langen Schwanz am Himmel, nach Tycho Brahes Ansicht der größte jemals gesehene Komet, an denen es im Gegensatz zu heute vom 13. bis 16. Jh. wirklich keinen Mangel gegeben hatte. Dieser zwei Monate lang sichtbare Komet hatte eine meßbare Parallaxe, nämlich 15 Bogenminuten, und befand sich demnach in vierfacher Mondentfernung von der Erde und zerstörte damit ein weiteres Mal die aristotelische Theorie, die Kometen nur im Raum zwischen Mond und Erde zuließ. Offensichtlich waren die alten Sternhimmelvorstellungen nicht auf Beobachtung sondern auf Berechnung gegründet gewesen.
Gegen zahlreiche Einwände führte Papst Gregor XIII fünf Jahre später die Reform durch und erhob damit astronomische Erkenntnisse über glaubensbegründete Überlieferungen. Im Jahr darauf erregte eine Konjunktion von Jupiter und Saturn die Gemüter, 1592 und 1598 waren es zwei Sonnenfinsternisse, die falsch vorausgesagt worden waren, und 1604 schließlich bewirkten die Beobachtung einer weiteren Konjunktion der beiden Planeten sowie einer kleineren Supernova große Veränderungen im damaligen Weltbild. Mit der Erfindung des Teleskops wurden die Sonnenflecken entdeckt, was wiederum erregte Debatten auslöste, die die göttliche Ordnung in Frage stellten. 1618 erschien wieder ein großer Komet. Die Häufung derartiger Ereignisse in den 70 Jahren zwischen 1560 und 1630, in deren Mitte die Gregorianische Reform lag, läßt einen weiteren Gedanken zu, der bisher in der Literatur kaum beachtet wurde: Vielleicht war die Kalenderreform – wie es C. Marx schon lange behauptet – nötig geworden, nicht weil der Julianische Kalender allmählich außer Tritt gekommen war, sondern weil sich in diesem Zeitraum Veränderungen im sichtbaren Lauf der Himmelskörper ergeben hatten.
Whelton argumentierte, daß das Konzil von Nicäa 325 AD keinen Fehler im Julianischen Kalender feststellte, obgleich die korrekte Festlegung des Osterdatums durchaus diskutiert worden war. Aber ab 1171 (Reiner von Paderborn) häufen sich die Stimmen, daß die Rückberechnung des Schöpfungsdatums der Welt nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen können, da der Kalender unkorrekt sei. Im Jahr 1200 stellte Conrad von Straßburg fest, daß das Wintersolstitium um 10 Tage falsch lag. 1267 beklagte Roger Bacon in einem Brief an den damaligen Papst Clemens IV, daß der Kalender falsch sei, und ähnlich schrieb Robert Grosseteste von Oxford.
Wie Chris Marx immer wieder betont, sagte Whelton weiter, sind auch andere Daten der damaligen Astronomie zu beachten, etwa die Erkenntnis des griechischen Mönchs Isaak Argyrus, daß der Mondzyklus sich verschoben hatte. Die Korrektur der Jahreslänge und des Frühlingspunktes, die Papst Gregor vornahm, ist aber eine kinderleichte Aufgabe, die auch schon Jahrhunderte früher möglich gewesen wäre, argumentiert Marx weiter. Man möchte gern die Sternbeobachtungen des 14. bis 16. Jahrhunderts als unzureichend hinstellen und deren Zahlenangaben als unbrauchbar.
Nehmen wir sie dagegen ernst, dann wäre denkbar, daß die Bahnen der Erde und der Planeten in jenem Zeitraum mehrfach Veränderungen unterlagen und von einem früheren Zustand pendelnd wieder zu jenem zurückkehrten. Kopernikus bestand darauf, daß die Präzession des Frühlingspunktes früher langsamer vonstatten gegangen sei, und Michael Maestlin bestärkte ihn darin. In diesem Sinne zitierte Whelton einen wichtigen Satz aus Charlie Raspils Untersuchung: „Die Veränderungen astronomischer Konstanten scheinen oft Verspätungen zu korrigieren, als ob alle Himmelskörper innerhalb gewisser Grenzen in der Lage seien, verlorene Zeit aufholen zu können, wie Eisenbahnen durch Beschleunigung eine Verspätung ausgleichen können.“ Tatsächlich wurde beobachtet, schreibt Danjon, daß die Erde nach einer Eruption auf der Sonne für Minuten ihre Umlaufszeit veränderte, aber schrittweise ihre alte Geschwindigkeit wiedergewann. In gleicher Weise wurde 1942 beobachtet, daß Merkur für seinem Sonnendurchgang 36 Sekunden zu lange brauchte, dies aber in den folgenden 18 Sekunden wieder ausglich (zitiert in Corliss). Zugleich hatte man auch eine Unregelmäßigkeit von 36 Sekunden im Mondlauf bemerkt, weshalb der Rückschluß auf Ungleichheit der Erdbewegung sinnvoll scheint. Der anschließende Ausgleich macht eine Korrektur der Ephemeriden unnötig.
Wie Raspil weiter ausführt, müssen wir noch andere Kräfte im Sonnensystem annehmen, da eine Erklärung allein mittels der Gesetze der Schwerkraft versagt. Wal Thornhill hat kürzlich diese Kräfte als elektromagnetisch bezeichnet.
Schon Velikovsky hatte grundsätzlich den Gedanken der ausgleichenden Korrektur der Bahnänderung der Erde ausgesprochen. In „Worlds in Collision“ (p. 237) schreibt er: „Der Fall von zwei aufeinanderfolgenden Störungen eines Himmelskörpers, wobei durch die zweite die erste wieder ausgeglichen wird, ist auch modernerweise beobachtet worden. 1875 zog Wolfs Komet nahe an Jupiter vorbei und wurde in seinem Lauf abgelenkt. Als er 1922 wiederum nahe an Jupiter vorbeizog, wurde die Ablenkung erneut wirksam, jedoch so, daß sie die vorherige aufhob.“ Obgleich Velikovsky hierfür einen anderen Himmelskörper verantwortlich macht, sollte doch die Möglichkeit zur Selbstkorrektur in Betracht gezogen werden.
„Auf diesem Wege möchte ich einer Spur folgen,“ fuhr Whelton fort, „die Chris Marx 1986 vorschlug. Es sei nicht so sehr die Frage, sagte Marx damals, ob die Erde durch einen fremden Himmelskörper wie ein Kreisel ins Schwanken geraten könne, sondern warum sie, die doch kein ausbalancierter Kugelkörper sei, nicht von selbst ins Pendeln gerate.“ Mittels eines Modells, in dem die Erde durch elektromagnetische Kräfte im Sonnenwind in ihrer Bahn stabilisiert werde, so erklärte Marx weiter, werde die Erde nach jeder Störung immer wieder in ihren stabilen Zustand zurückgedrängt. Darum brauchen wir keine velikovskischen Nahbegegnungen mehr, aber jede Veränderung der Erdbewegung würde sich auch auf die anderen Planeten auswirken. Dies käme der Anschauung von Clube und Napier nahe, daß nicht Planeten sondern Kometen die Verursacher von Katastrophen sind.
Chris Marx, so referierte Whelton weiter, schlägt eine radikal verkürzte AD-Chronologie vor, bei der Begegnungen mit Venus und Merkur in den letzten 800 Jahren einbezogen werden müssen. Dies würde eine Festlegung auf einen genauen Ausschnitt von Jahren, wie Illig ihn fordert, wieder in Frage stellen. Es würde auch möglich machen, was Fomenko mit seiner durchaus ernstzunehmenden statistischen Untersuchung aufgedeckt hat.
Die Arbeit von Fomenko, die nach Ansicht Wheltons nicht berücksichtigt, wie schwierig es sein wird, die englische Geschichte zu falsifizieren, bedeutet für die Mitglieder der Zeitrekonstruktion einen Angriff und eine Chance zugleich, da nicht weniger gefordert wird, als die gesamte Weltgeschichte neu zu untersuchen. Wenn Karl d.Gr. unwirklich wird, was für Whelton einleuchtend dargestellt zu sein scheint, was wird dann aus Alfred d.Gr. und den übrigen Sachsenkönigen, deren Knochen in Winchester Cathedral ruhen sollen?
Wenn auch die meisten Historiker eine derartig neue Fragestellung nicht zulassen werden, glaubt Whelton doch, daß einige wenige zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß das letzte verläßliche Basislager für eine Erforschung der Geschichte ins Jahr 1582 AD verlegt werden muß.
Die Apostel der Astronomie änderten nicht freiwillig ihr geozentrisches Weltbild, schloß Whelton seinen Vortrag, sondern wurden durch himmlische Ereignisse im 16. Jh. gezwungen, ihr eingebildetes Universum zu verlassen und in einem realen sich anzusiedeln.
Im Rückblick stellte Whelton fest, daß wir in den vergangenen Jahrhunderten mit einem ausgeglichenen Himmelsszenario gesegnet waren, daß aber der ruhige Himmel keineswegs der Normalzustand sei. Die Zeit ist gekommen, die Idee von der Gleichförmigkeit des himmlischen Geschehens, die immer noch unseren Verstand beherrscht, zu kritisieren und die AD-Zeitrechnung unter diesem Gesichtspunkt gründlich neu zu untersuchen.

Ergänzend zu Wheltons Vortrag erinnerte Christoph Marx daran, daß das Verdrängen der katastrophischen Ereignisse ein nicht zu übersehender Faktor in der späteren Erstellung von Zeittafeln und Geschichtsbildern sei, der aber leider nur von wenigen Autoren in seiner ganzen Auswirkung gesehen werde.
In der anschließenden Diskussion wurden einige der typischen Fragen gestellt, so die nach dem Wert von Radiokarbon- und Dendrochronologien, die mit dem Hinweis auf das noch nicht in Englisch erhältliche Buch von Blöss und Niemitz beschieden werden mußte. Auch auf die Fragen nach Abgleichungen gegen islamische und jüdische Zeitrechnungssysteme konnte Topper nur kurze Hinweise geben, die den grundsätzlichen Weg erkennen lassen. Gabowitsch fügte weitere Daten ein, indem er den großen Vorgänger von Fomenko, Nikolai Morosow, erwähnte. Einer der Anwesenden wies auf die Möglichkeit hin, durch Einbeziehung der Maya-Daten, die auf genauen Himmelsbeobachtungen beruhen, einen relativen Zusammenhang mit der abendländischen Geschichtsschreibung herzustellen, der im Gegensatz zu indischen oder chinesischen Texten nicht durch christliche Regulierung wertlos geworden sei.
Die Ungeheuerlichkeit der neuen Thesen von Illig und Fomenko, die hier einigen Mitgliedern der SIS erstmals zu Ohren kamen, wird immer wieder in der Sprachlosigkeit sichtbar, die zunächst herrscht. Die Schockwirkung ist nicht zu unterschätzen, weshalb es von außerordentlicher Wichtigkeit war, daß ein Mann wie Clark Whelton den Versuch unternommen hat, die neuen Ideen vorzustellen. Sein vorsichtiger Zugang und seine persönliche Verarbeitung der neuen Thesen machten es möglich, daß ihm die Zuhörer folgen konnten und das Problem einer Zeitrevision der mittelalterlichen Geschichtsschreibung kennenlernten. Ganz gleich, ob sich die meisten positiv oder negativ zu den neuen Thesen stellen werden, steht jetzt schon fest, daß der 7. November 1998 ein fundamentales Datum für das Verständnis der Menschheitsgeschichte im englischen Sprachraum geworden ist.
Die heftigen Diskussionen unter den drei Reisenden dauerten auch während der Soho-Spaziergänge und nach der Besichtigung des Britischen Museums an. Soweit sie die neuen statistischen Methoden der Chronologiekritik und -analyse betrafen, wurde klar, daß sogar nach der durch H. Illig und Ch. Marx geleisteten intensiven Vorarbeit und nach mehreren Vorträgen im Berliner Geschichtssalon ein immenser Bedarf an „Verdauung“ dieser Methoden besteht. Ohne ein viel detaillierteres Kennenlernen der neuen Methodik, ohne eine breite Diskussion über ihre Grenzen und Eigenarten, bleibt die Gemeinde der Zeitensprüngler auf dem Niveau der Sowjetbürger, die Bücher von Solschenitsin mit Hingabe beurteilten, ohne diese zu lesen (was immer stolz als Zeichen der Loyalität in zahlreichen Beurteilungen betont wurde).
Unsere Ausbildung, kulturelle Tradition und die bisherige methodische Erfahrung zwingen uns oft zur heftigen, sogar vernichtenden Kritik als erste, spontane und unwiderstehliche Reaktion auf die ersten Quanten der Information, hinter der Jahre und Jahre intensiver Forschung stehen. So reagiert ein atheistisch erzogener Mensch auf die Geschichte von Marias Empfängnis. Wenn er aber danach sofort die Bibel wütend für immer zuschlägt, verliert er viele enorm wichtige Bestandteile unserer abendländischer Kultur.
Wir sollten lernen neues zu lernen, ohne sofort unsere eigene Klugheit und geistige Überlegenheit in Form einer vom hohen Roß geführten vernichtenden Kritik, vernichtenden Bemerkungen zu demonstrieren. Auch muß nicht jede etwas ungewöhnliche Veröffentlichung in den „Zeitensprüngen“ unbedingt im gleichen Heft mit der Schilderung der redaktionellen Position begleitet werden. Das erinnert zu sehr an die osteuropäischen Gepflogenheiten der Zeit der dosierten Freiheiten. Auch sollte – unserer Meinung nach – die Redaktion etwas zurückhaltender mit „wahrheitverkündenden“ Bemerkungen über einzelne Autoren verfahren.
In diesem Zusammenhang bekannte sich E. Gabowitsch zu seinem taktisch-politischen Fehler: als Neuling in der Zeitensprünge-Gemeinde nahm er fälschlicherweise an, daß die Verarbeitung der methodischen Seite der statistischen Analyse in der Gemeinde schon so fortgeschritten ist, daß man zur Berichterstattung über die zweite Phase der chronologischen Forschung in Rußland übergehen darf. Diese – indem sie sich auf die mit Hilfe der obenerwähnten Methode erzielten Ergebnisse stützt – beginnt nach zwanzig Jahren der reinen chronologischen Forschungsarbeit sich mit neuen historischen Hypothesen und mit hypothetischen Rekonstruktionen einzelner Geschichtsperioden zu beschäftigen.
Aus der innerlichen Ablehnung einiger Ergebnisse dieser hypothetischen Rekonstruktionen darf keine Ablehnung der Methode selbst folgen. Auch eine in Teilen der Gemeinde sich etablierende Meinung, daß – solange diese Methode mit der uns vertrauten archäologischen Evidenz nicht in Einklang gebracht wird – sie nicht mehr ernsthaft von uns betrachtet zu werden braucht, sollte gemeinsam diskutiert werden. Vielleicht sollten gerade diejenigen, die mit der archäologischen Evidenz vertraut sind, selbst hier die entsprechende Forschung starten und nicht nur das von anderen fordern.
Mann könnte eher die Diskussion darüber führen, welche Daten der Geschichte noch zusätzlich mit den neuen Methoden zu untersuchen interessant wäre (z.B. könnte man an die Daten zur Geschichte der einzelnen deutschen Feudalreiche denken). Für Vorschläge dazu wären wir unseren Lesern sehr dankbar.

Dieser sogenannte „lange Bericht“ von unserer Londonreise 1998 stammt zum größten Teil von Eugen Gabowitsch und wurde von Uwe Topper hinsichtlich einiger grammatischer und orthografischer Fehler berichtigt. Christoph Marx hat sich vor allem über die Länge des Beitrags aufgeregt und die Veröffentlichung verneint. Eine Fassung erschien dennoch in EFODON-SYNESIS Nr. 32/1999. Als einziger Überlebender der drei „Zeitreisenden“ erlaube ich mir diese späte aber durchaus noch aktuelle Wiedergabe hier. Uwe Topper im Mai 2016
Nachtrag: Der von Whelton zitierte Charles Raspil starb am 1. Juli 2002. Der ebenfalls zitierte Corliss ist der Velikovskianer William R. Corliss. Wallace Thornhill (Jahrgang 1942) u.a. Namen möge man in der Velikovsky-Enzyklopädie nachsehen.

 

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