Löwenpaare
Löwen gibt es schon lange nicht mehr in Europa. In unserer sagenhaften Erinnerung, in Wappen und Ortsnamen leben sie weiter, als läge ihr Verschwinden noch nicht lange zurück. Vor allem gehören Löwen zum Kirchenschmuck und zur christlichen Dichtung. Jesus ist der Löwe von Juda.
Früher hieß der Löwe einfach Leu, das ist verwandt mit Lex – Gesetz. Der Zusammenhang ging weitgehend verloren, man vermutet: dräuend wie ein Leu ist das Gesetz. Das Gegenteil dürfte richtig sein: Der Löwe bürgt für Sicherheit und Schutz. Der gesetzestreue Mensch kann seinen Kopf in den Rachen des Löwen halten, es wird ihm kein Haar gekrümmt werden. Das jedenfalls suggerieren die unzähligen Darstellungen in Stein, die sich in romanischen Kirchen erhalten haben, auf Säulen als Kapitelle oder am Portal. Auch in Persien gab es solche Darstellungen, zum Beispiel auf einem Grabstein eines Bachtiaren.
Nicht diese sonderliche Vorstellung will ich hier herausheben, sondern etwas noch überraschenderes: Die Anbetung der Gerichtssäule (oder Weltsäule) durch ein Löwenpaar, ein Weibchen und ein Männchen. Das paßt wohl zu dem eben erwähnten Zusammenhang – aber es ist uns doch fremd. Ich bringe zwei Beispiele:
An der Festung von Aleppo (Haleb, in Syrien) prangt ein Steinrelief dieser Art:
Das Löwenpaar kniet vor der Lilie, dem Dreiflamm, dem Zeichen der Irminsul. Links sehe ich am stärkeren Nackenfell kenntlich den Löwen, rechts etwas kleiner die Löwin. (Abb. 1)
Und das andere Beispiel: Über dem Türsturz einer kleinen Kirche auf Korsika kniet ein Löwenpaar vor einer Säule, die als einzigen Schmuck den Dreiflamm trägt und damit als Irminsul, die Weltsäule, ausgezeichnet ist. Wiederum sehe ich links den Löwen, rechts die Löwin. (Abb. 2)
An einer der romanischen Kirchen im Vorharz, der Stiftskirche St. Pankratius in Hamersleben, sind zwei Löwen links und rechts der Weltsäule dargestellt. Hier haben wir links die Löwin und rechts den Löwen. Das Portal an der Nordseite ist schon lange zugemauert und fast vergessen (wie auch ein anderes Portal hier mit zwei Drachen). (Foto UT Juni 2020)
Löwenpaare in dieser Gegenüberstellung gehören auch in Frankreich zum Dekor romanischer Kirchen, meist als Türsturz. Hier zwei Beispiele:
Péronne/Frankreich
Kirche Ste. Madeleine
Türsturz mit zwei Löwen, die von einem Busch fressen.
Nicolas, Henri (2003): Eglises romaines du Mâconnais (La Tarlanderie, Chatillon s. Ch.)
p. 13: photo de Gérald Gambier, Text von H. Nicolas:
"... die beiden Türsturze an der Südseite der Fassade sind wahrscheinlich wiederverwendete Architektur-Stücke, von anderswo hergebracht. Über einer der beiden Südtüren, die heute zugemauert sind, stehen sich zwei Löwen gegenüber, beiderseits eines Baumes, von dem man annimmt, es könnte der "hom" sein, der alte heilige Baum Persiens. An der zweiten Tür stellt eine andere Figur einen Hahn dar: vielleicht den gallischen Hahn, früher Gegenstand des keltischen Kultes."
Die französische Wikipedia hat die Deutung "orientalische Inspiration" für die beiden Löwen und "Gegenstand keltischen Kultes (?)" für den Hahn übernommen und gibt als Quelle: Jean Virey, Les églises romanes de l'ancien diocèse de Mâcon, Imprimerie Protat, Mâcon, 1935. Ouvrage cité dans un article paru dans la revue « Images de Saône-et-Loire » n° 30 (juin 1976), p. 12.
Auxerre/Frankreich
Auxerre, Abtei St. Germain, Museum: (Foto Uwe Topper Juni 2010)
Ein ehemaliger Türsturz, dessen Herkunft nicht angegeben ist. Zwei Löwen stehen sich gegenüber, in der Mitte zwischen ihnen ein Männerkopf, dem sie jeweils eine Vorderpfote auflegen; die Augen von Mensch und Tieren sind leer, waren vielleicht früher eingelegt. Rechts hinter ihnen zwei Zwerge, die eine Figur schmieden (?).
Sich gegenüberstehende Löwen gibt es ja reichlich im romanischen Dekor. Hier ist nun der Weltbaum oder die Irminsäule durch einen Männerkopf ersetzt, das Relief gehört damit einer anderen Überlieferung an.
Ein Foto des Reliefs von Cees van Halderen findet man auf der Seite http://www.bourgogneromane.com/ mit folgender Legende: "romanischer Türsturz : gegenüberstehende Löwen, menschlicher Kopf und Sündenszene".
Und nun ein Löwenpärchen, das humorvoll den Betrachter anblickt, von der Fassade von N.D. de Surgère (Aunis, Frankreich). (Foto R. F. am 29. 6. 2015)
Das Männchen steht auf dem Weibchen, hält liebevoll dessen Kopf mit den Zähnen fest, beide amüsieren sich königlich. (Die Fassade der Kirche, ursprünglich romanisch, wurde im 19. Jh. restauriert)
wird fortgesetzt